Ueber Expertengespräche als Informationsquelle und das Marketing der Automobil-Importeure (inkl. Checkliste Experteninterviews)

Publiziert in Produktion+Print Nr. 3, März 1997

Der Vorwärtsspiegel

Die Automobilbranche ist die werbe- und kommunikations-intensivste Branche der Schweiz. Gleichzeitig reagiert sie sehr stark auf Konjunktur-Wechsel. In Autos ist Bewegung drin: Zieht die Konjunktur an, so macht die Branche einen Satz nach vorn. Lahmt die Konjunktur hingegen, dann trifft es die Automobilbranche sehr hart. Die Flaute von heute macht ihr zu schaffen: Zeit für Produktion+Print, einen Branchenspiegel zur Automobilbranche zu liefern. Zeit aber auch, das Analyse-Instrument "Expertengespräche" als ein wichtiges Marketing-Tool darzustellen. Denn Expertengespräche sind immer noch das Beste, wenn es darum geht, zukünftige Entwicklungen abzuschätzen, sie sind ein "Vorwärtsspiegel".

"Willst Du genau erfahren, was sich ziemt, so frage nur bei edlen Frauen an", so lautet ein Sprichwort. Die Marketing-Version davon: Willst Du erfahren, was im Marketing aktuell ist, so interviewe Marketing-Direktoren der Automobil-Industrie. Zählt man alles zusammen, so werden knapp 10% des Bruttosozialproduktes für Ausgaben aufgewendet, die irgendwie mit dem Auto zusammenhängen - eine riesige Zahl. Davon steckt die Automobilbranche wiederum ein gutes Prozent in die Werbung - über 300 Millionen Franken jährlich. Das macht sie zur werbeintensivsten Branche. Doch Marketing ist deutlich mehr als Werbung (vgl. Marketing im Test, Folge 12). Parallel zur Summe an Werbeaufwendungen zeichnet sich die Automobilbranche auch qualitativ durch ein sehr intensives Marketing aus.

 

Die Situation

Angenommen, wir würden uns fragen: "Welche Marketing-Anstrengungen unternimmt die Automobilbranche, um aus der derzeitigen wirtschaftlichen Flaute das Beste zu machen?" Angenommen, wir würden uns von der Beantwortung dieser Frage einen Einblick in die Branche mit dem versiertesten Marketing versprechen. Angenommen, dieser Einblick würde nicht nur etwas zum besseren Verständnis dieser äusserst wichtigen Kunden der Produktion+Print-Leser liefern, sondern als "Zugabe" auch noch Anstösse für das eigene Marketing liefern. Angenommen? Angenommen!

Bevor wir in die Detailanalyse gehen, müssen wir uns ein paar Fakten zum Automobilmarkt in Erinnerung rufen:

Das sind alles Fakten, die sich auch aus den Zeitungs-Meldungen der letzten Monate herauslesen liessen, also quasi aus dem Rückspiegel. Uns interessiert jedoch mehr die Zukunft.

 

Die Methode

Bei der Erstellung eines Marketing- oder Kommunikations-Konzeptes kommt vor aller eigentlichen Konzeption zuerst die profunde Analyse. Und die läuft immer nach dem Schema "1. Desk Research, 2. Field Research" ab. Desk Research bedeutet dabei das Sichten bestehender Akten: Studien, Bücher, Zeitungsartikel, Marktdaten, Datenbankabfragen; kurzum alles, was zu vernünftigem Preis zu haben ist. Damit gewinnt man einen guten Blick "in den Rückspiegel".

Im zweiten Schritt geht es darum, im "Vorwärtsspiegel" zukünftige Entwicklungen abzuschätzen. Wer könnte da besser Auskunft geben als diejenigen Experten, die durch ihre Führungsaufgabe täglich die Problematik analysieren und auch immer wieder im Trial-and-error-Verfahren Lösungen ausprobieren? Diese Experten sind für die Automobilindustrie die Marketingleiter und deren Sprecher. In unserem Fall war die Auswahl schnell getroffen (vgl. Textbox Interview-Partner); es handelt sich um Vertreter der fünf absatzstärksten Marken der Schweiz.

Ich stelle immer wieder fest, dass insbesondere wir Schweizer eine fürchterliche Abneigung gegen das Fragen haben. Es kam schon vor, dass ich als Marketingberater im Zusammenhang mit einer Konkurrenzanalyse direkt Experten der Konkurrenten befragt habe. Meine Auftraggeber sahen mich dabei immer ungläubig an: "Was? Konkurrenzspionage?" "Nein, Expertenbefragung!" war meine Antwort und ich kriegte bei allen angefragten Firmen einen Termin. Im Falle der hier vorgestellten Kleinst-Untersuchung zum Marketing in der Automobilbranche liegt der Fall natürlich etwas anders. Längst hat sich die Erkenntnis bei Kommunikationsprofis durchgesetzt, dass es besser ist, einem Journalisten direkt selber Rede und Antwort zu stehen, als ihn von Dritten mit vager Information abspeisen zu lassen. Das erleichterte sicher den Zugang zu diesen wichtigen Leuten. Erschwerend hingegen war die Tatsache, dass jeder vor Veröffentlichungen immer auch ein bisschen Angst hat. Doch ich erhielt bei allen Angefragten sehr schnell einen Termin und ging wie folgt vor (vgl. Checkliste Expertenbefragungen):

 

Die Ergebnisse

In meinen Interviews wollte ich Highlights, Ideen, Neuigkeiten und Vorwärts-Strategien der Automobilbranche erfragen. Das Spektrum an Strategien und Taktiken, welches die Expertengespräche zutage gefördert haben, lässt sich sehen. (Zu den hier vorgestellten wichtigsten Erkenntnissen muss fairerweise gesagt werden, dass ein Highlight bei einer Marke auch für andere Marken gelten kann. In der Automobilbranche beobachtet man die Konkurrenz sehr genau und doppelt nach, wenn eine Massnahme Erfolg hat).

Ford: Ford hat seine Käufer in vier Segmente unterteilt und bietet diesen (wahrscheinlich bald in jeder Fahrzeug-Klasse) vier Varianten an: "Trend" für preisliche Attraktivität, "Style" für Fahrzeuge nach Mass, "RS" für sportliche Ausführungen und "Ghia" für Luxusmodelle. Jede dieser vier Varianten basiert auf einem eigenen Basis-Modell, das auf Kundenwunsch mit Extras versehen werden kann. Damit hat sich Ford von der früheren Strategie des "alles inklusive" abgewendet, da teure Extras wie z.B. ABS gar nicht von jedem Käufer gewünscht werden. Interessant an dieser Sortimentsgestaltung ist die Tatsache, dass zu jeder Fahrzeug-Klasse (und damit zu jedem Verwendungszweck), eine Kundentypologie besteht. Das System befindet sich im Aufbau.

Und noch etwas ist bei Ford stark im Kommen: Eine zunehmende "Emotionalisierung" im Design. Der kleine Ford KA ist hierzu nur ein erster Schritt.

Opel: Opel ist sei Jahren klar die Nummer 1 in der Schweiz. Früher wurde diese Position noch mehr ausgespielt. Bei Dienstleistern ("Hertz No. 1") scheint das Argument jedoch mehr zu ziehen als bei Autoherstellern: Der Trend zu individuellen Autos läuft genau zuwider. (Alle grossen Auto-Marken haben zugunsten von "Randmarken" überproportional Umsätze eingebüsst).

Opel setzt zunehmend auf die Fahrzeugtypen-Marken: Sintra, Vectra, Omega etc. Als Nummer 1 kann sich Opel das leisten. Auf den Prospekten steht ganz gross die Fahrzeugmarke und nur ganz klein die Dachmarke Opel. Dies zeigt auch auf, wie langfristig eine Nummer 1 agieren kann. Jeder kann sich noch an den Slogan "Look at Opel now" erinnern, der 1989 den Image-Wechsel bei Opel herbeigeführt hat. Natürlich ist dieser Slogan heute nach sieben Jahren nicht mehr zu gebrauchen. Und Opel kann es sich leisten, keinen neuen Slogan zu haben. "Wir haben verstanden" wurde zwischenzeitlich ausgetestet; ein Hinweis auf die Anstrengungen im Umweltschutzbereich. Doch wir Schweizer sprechen - anders als z.B. deutsche Kunden - auf dieses Argument nur sehr wenig an. Eine Erfahrung, die auch von anderen Marken gemacht werden musste.

Renault: Renault macht es genau umgekehrt. Seit sieben Jahren gilt der Slogan "Renault - Autos zum Leben" und gerade die Monospace-Serie (Renault Espace, Renault Twingo, Renault Scénic) scheint dieses Motto auch in den Produkten auszudrücken. Zuerst ist es immer ein Renault. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum bei Renault als einziger Marke auf der Titelseite des Programm-Prospektes nicht in erster Linie Autos zu sehen sind, sondern ein Mensch, der sich offensichtlich in seinem Auto wohlfühlt.

Renault hat unter dem Namen "Top-Class" ein spezielles Programm für ausgewählte Garagen entwickelt. Diese Garagen bieten sieben spezielle Kunden-Versprechen in den Bereichen Probefahrt, Finanzierung, Expertise / Eintausch, Auslieferung, Ersatzfahrzeuge und Recycling an. Damit zeigt sich, dass der Importeur Renault alles daran setzt, seinen Slogan auch in die - übrigens einer strengen Kontrolle unterliegenden - Garagen zu tragen. Denn auf die kommt es bei der Umsetzung, beim Finish ja bekanntlich am meisten an.

Toyota: Toyota hat schwierige Zeiten hinter sich. Früher die Nummer drei, heute die Nummer fünf und auch nach dreissig Jahren immer noch ein "Newcomer" unter den etablierten Marken. Dabei ist Toyota als Billig-Marke (Japaner) in den Markt eingestiegen - etwas, das heute beileibe nicht mehr stimmt. Die Anstrengungen im Garantiebereich (Toyota und besonders auch die hauseigene Luxusmarke Lexus bieten die wohl umfassendsten Garantien an), wirken sich nur sehr langsam aus.

Toyota ist mit der Abspaltung der Luxusmarke Lexus in der Schweiz einen sehr steinigen Weg gegangen. Ob jemals - trotz intensivster Betreuung der Kunden - ein befriedigendes Volumen zusammenkommt, ist nicht sicher. Honda hat selber in Amerika auch die Nobelmarke Accura abgespalten, lässt aber in der Schweiz die teuren Modelle ebenfalls unter dem Namen Honda auftreten. Für eine eigene Marke Accura wäre der Schweizer Markt zu klein.

VW: Ueber die "neuen Wege" der Kommunikation von VW / AMAG wurde in der letzten Nummer ausführlich berichtet. Das wohl Interessanteste bei VW ist die angelaufene Aufsplittung im Garagenbereich in eine getrennte Führung der Marken VW und Audi. Was bei Garagen, die mehrere voneinander unabhängige Marken führen, schon lange zu beobachten ist, wird nun auch im grössten Garagen-Netz der Schweiz umgesetzt. Die VW/Audi-Garagen werden zu VW-Garagen und Audi-Garagen.

Für VW macht diese Strategie Sinn, weil dadurch ein wichtiger Schritt weg von der zuerst mit dem Käfer und später mit dem Golf gestalteten "Monokultur" stattfindet. VW bietet heute ein umfassendes Programm an. Und bei Audi, eine der erfolgreichsten Marken des letzten Jahres, wird es möglich sein, einen genauer positionierten Markenauftritt zu ermöglichen. Zudem hat das Ganze auch einen praktischen Grund: Die Sortimente sind zu gross geworden, der Ueberblick darüber wird immer schwieriger.

Gerade die Aufsplittung bei VW und Audi darf aber über etwas nicht hinwegtäuschen: Alle Fahrzeugmarken differenzieren sich möglichst stark in den Volumen-Modellen, in ihren Kerngebieten. Bei Randsortimenten ist man jedoch - wie in der Technik schon seit Jahren - aus ökonomischen Gründen zu Kooperationen bereit. Schauen Sie sich einmal die Grossraumlimousinen VW Sharan, Ford Galaxy und Seat Alhambra an: Ausser dem Kühlergrill und dem Steuerrad ist alles gleich. Sie alle werden im gleichen Werk gebaut.

 

Was können Sie tun?

 

Die befragten Experten

Diese Interview-Partner nahmen sich freundlicherweise Zeit für ein vertieftes Gespräch über das Marketing der Automobilbranche:

Ford: Martin Hänni, Marketingleiter Ford Switzerland, Zürich

Opel: Christoph Buser, Marketingleiter Opel Suisse, Biel

Renault: Pascal Cohen, Marketingleiter Renault Suisse, Regensdorf

Toyota: Urs Rosen, Werbeleiter Toyota, Safenwil

VW: Reto Töndury, Pressesprecher AMAG-Import, Schinznach

 

Checkliste Experten-Interviews

 

Gut vorbereiten

Fragen vorgängig zukommen lassen

Persönlich ist besser als am Telefon

Zeitpunkt wählen lassen

Sich unsichtbar machen

Verfügbare Zeit gleich zu Anfang erfragen

Abschweifen lassen, sofern kein Zeitdruck

Nachfragen, absichern

Nicht stressen, nicht herauskitzeln

Auf Körpersprache achten

Nicht die Antwort vorwegnehmen

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