Ueber Werbung am Beispiel der Eigen-Werbung von Werbeagenturen

Schuhmachers Schuhe.

Publiziert in Produktion+Print, Nr. 1-2, Februar 1996

Der zweite von zehn "Marketing-Tests" untersucht die Eigenwerbung von Werbeagenturen. Diese bleibt sowohl hinsichtlich des Volumens wie auch der werblichen Qualität deutlich unter den Leistungen, welche diese Agenturen für ihre Kunden erbringen. Auch unter Berücksichtigung der speziellen Business-to-Business-Problematik dieser Firmen mit weniger als hundert Mitarbeitern bewahrheitete sich für diese Branche der Spruch, dass die "Schuhmacher selber die schlechtesten Schuhe tragen".

Streng nach dem Motto "Marketing ist das, was der Kunde von der Unternehmung sieht und hört" wurde im letzten Produktion+Print der Telefondienst untersucht. Heute untersuchen wir eine zweite Informations-Möglichkeit des Kunden, die Werbung. Als untersuchte Branche wurde die Werbe-Branche selbst gewählt. Wie werben die Werbeagenturen für sich selber? In der Hoffnung, herausragende und gekonnte Beispiele für Werbeeinsatz zu finden, ging ich sieben mir besonders interessant erscheinende Werbeagenturen der Schweiz an - und wurde ziemlich enttäuscht.

Vor einem Viertel-Jahr untersuchte ich zur Entwicklung eines Marketing-Konzeptes für einen Druckvorstufen-Betrieb den werblichen Auftritt seiner Konkurrenz. Das Ergebnis war ernüchternd. Diese Firmen, die zu einem Grossteil ihr Brot mit der Aufbereitung von Werbemitteln verdienen, hatten zum überwiegenden Teil keine Eigenwerbung. Bei einer Litho-Firma in Zürich wurde ich auf meine Frage nach Aushändigung von Eigen-Werbemitteln vollends konsterniert angeguckt. Die zuständige Frau sah mich an, als wollte sie sagen: "Werbung machen - diesen Fehler begehen ja höchstens unsere Kunden! Das ist alles hinausgeschmissenes Geld." Der Leiter eines anderen Druckvorstufen-Betriebes brachte es auf den Punkt: "Wissen Sie, es sind immer die Schuhmacher selbst, welche die schlechtesten Schuhe tragen". Immerhin hatte er das Problem klar erkannt.

 

Wie wirkt Werbung

In der Fachliteratur gibt es drei Untersuchungs-Schwerpunkte zur Werbewirkung: Die Aufmerksamkeits-Erweckung, der sogenannte Impact (die Erweckung von Vertrauen durch erhöhte Bekanntheit) und die Bedürfnis-Ansprache. Eine gute Werbung muss sämtlichen drei Bereichen gerecht werden, damit sie optimal wirkt.

Werbewirkung durch...
Aufmerksamkeits-Erweckung "körperliche" Reize wie grelle Farben, Nahaufnahmen, Kinder, erotische Bilder

"intellektuelle" Reize wie neue Wortverbindungen (z.B. SchreIBMaschine) und ungewohnte Kontexte (z.B. fussballspielende Kuh)

Impact häufiger Kontakt durch oftmaliges Schalten einer Anzeige

Kontakt über die verschiedensten (direkten und indirekten) Medien hinweg

Bedürfnis-Ansprache Pleasure: Lustig, Lebensfreude

Pride: Stolz, Status-Symbole

Profit: Sparen, Profitieren

Peace: Sicherheit, Einfachheit

Aufmerksamkeit erzeugt man am besten durch Ueberraschung. Der Konsument ist grundsätzlich uninteressiert und damit er seine Aufmerksamkeit auf eine Werbemassnahme richtet, braucht es einen Ueberraschungs-Effekt. Dieser kann auf instinktiven Reaktionen aufbauen, die wir aus langer Zeit mitgenommen haben. Sämtliche Signale, welche auf Fortpflanzung hindeuten, wirken auf uns als Blickfang. Diesen animalischen Urgrund können wir nicht abstreifen. Auch sämtliche Reize, welche auf Gefahr hindeuten wie laute Geräusche, grelle Farben, Nahaufnahmen, etc. ziehen automatisch unsere Aufmerksamkeit auf sich. Ueberraschung lässt sich jedoch auch durch intellektuelle Wahrnehmung bewirken. Hierauf baut heute die meiste Aufmerksamkeits-Werbung auf. "Mein Name ist Bond, Junk Bond" für die Zeitschrift Cash, "VELY VELY BLITISH" für das Mazda-Cabriolet oder "Illustrierte Schweizer" für die Schweizer Illustrierte bauen auf solcher intellektueller Ansprache auf. Sie kennen sicher die Abbildungen leichtgeschürzter Mädchen, welche oft in Auto-Werkstätten die Werbung von Motor-Oelen zieren; können Sie sich noch an die beworbenen Marken erinnern? Gegenüber einer die instinktiven Reaktionen ansprechenden Aufmerksamkeits-Werbung hat die intellektuelle Ansprache den Vorteil, dass sie das beworbene Produkt besser "mitzieht". Und es ist dieser Link zum Produkt, der den werblichen Effekt bewirkt.

Impact wird deswegen erzeugt, weil wir zum Kaufen auch Vertrauen in die gekaufte Marke bzw. die beauftragte Unternehmung benötigen. Die Lehre besagt, dass wir eine Marke mindestens siebenmal bewusst wahrgenommen haben müssen, bevor wir ihren Kauf ernsthaft in Erwägung ziehen. Nimmt man an, dass eine Anzeige - und sei sie noch so gut gestaltet, denn von den anderen reden wir gar nicht - nur jedes dritte Mal wahrgenommen wird, so bedeutet dies, dass sie erst nach 21 Schaltungen ihre optimale Wirkung entfaltet. Der Impact, das positive Verankern im Gehirn, stellt das zweite Problem der Werbewirkung dar: "Gott ist mit den grossen Bataillonen" wusste schon Napoleon. Gott ist auch mit den grossen Werbebudgets. Ein Werbemittel, das man nicht mindestens 21 mal schalten kann, sollte besser gar nicht eingesetzt werden. Deswegen ist der Impact von Streu-Werbung für kleinere und mittlere Unternehmungen ein grosses Problem.

Bedürfnis-Ansprache betrifft den dritten Teil der Werbewirkung. Die Lehre kennt verschiedene Modelle von Bedürfnissen. Das einfachste ist die Unterteilung in die vier unabhängigen Dimensionen "Pleasure" (Lebensfreude, Spass), "Pride" (Stolz, Dazugehören), "Profit" (Sparen, Profitieren), und "Peace" (Sicherheit, Einfachheit). Die meisten unserer alltäglichen Bedürfnisse lassen sich schwerpunktmässig einer dieser vier Dimensionen zuordnen. Erst wenn wir wissen, welches Bedürfnis wir mit einem Produkt befriedigen können bzw. zu welchem Bedürfnis ein Produkt passt, sind wir auch motiviert, dieses zu kaufen. (Natürlich ist das auch der heikelste Punkt der Werbung: Wenn sie Bedürfnisse zu befriedigen verspricht, welche durch das Produkt nicht befriedigt werden, so wird sie zu Recht angegriffen. Wenn mit dem Produkt das angesprochene Bedürfnis befriedigt wird, so sind alle glücklich und niemand hat etwas dagegen).

 

Werbers Werbung.

Bevor ich im folgenden die Eigenwerbung der untersuchten sieben Werbeagenturen kritisch beleuchte, will ich vorausschicken, dass ich damit nicht deren Kunden-Werbung diskutiere. Diese ist in allen Fällen höchst professionell, denn es wurden nur erstklassige Werbeagenturen untersucht, und ich danke an dieser Stelle besonders den Herren Hans Ulrich Schweizer (Wirz), Frank Baumann (Edelweiss), Bruno Hörler (Advico Young & Rubicam) und Michael Aeppli (Lesch+Frei) für die interessanten Anregungen zu diesem Artikel.

Aufmerksamkeit wird in der Eigenwerbung der Werbeagenturen sozusagen nicht erzeugt. "Braver geht's nicht" würden sie wohl zumeist sagen müssen, wenn sie zu ihrer Eigenwerbung Stellung nehmen müssten. Brave schwarze Mappen mit einfacher Aufschrift des Agentur Namens bzw. der Logos beinhalten in der Mehrzahl der Fälle das Informations-Material. Und der Inhalt? Nehmen wir an, dass BMW in einem Prospekt sagen würde "Das ist unser 3er", "Das ist unser 5er", "Das ist unser 7er", etc.. "Viel zu produktorientiert" würde sicher das Urteil dazu lauten. Die Werbeagenturen werben aber genauso: "Das ist unsere Werbung für diese Zeitung", "Das ist unsere Werbung für jene Automobil-Marke"; die Werbeagenturen werben in allererster Linie mit ihren Produkten. Zugegeben: Diese Produkte sind immer Einzelstücke, denn keine wirklich gute Kampagne gleicht der anderen. Trotzdem: Die Eigenwerbung kommt meist brav und eher langweilig daher. Es gibt auch Ausnahmen: Die Hauszeitschrift der Contexta zum Beispiel. Oder der Umschlag und die erste Seite der Broschüre von Edelweiss. Ich bin aber sicher, dass selbst die Dokumentationen der grossen Banken im Durchschnitt eine grössere Vielfalt aufweisen, als die von Werbeagenturen.

Impact wird von Werbeagenturen - und da hat es diese Branche wesentlich glücklicher als andere - fast ausschliesslich auf dem Trittbrett ihrer Kunden erzielt. Das kleine um 90 Grad gedrehte Impressum zum Plakat oder zur Anzeige ist in den allermeisten Fällen die einzige indirekte Streuwerbung, welche die Agenturen schalten (jedoch nicht bezahlen...). Dies widerspiegelt die Problematik annähernd aller kleinen und mittleren Unternehmungen: Selbst die grösste Werbeagentur der Schweiz zählt weniger als hundert Mitarbeiter. Ein solcher Betrieb hat ganz einfach nicht die Kraft, mittels Streu-Werbung seine Botschaft beim Kunden einzuhämmern. Vielmehr setzen die Werbeagenturen auf das persönliche, direkte Beziehungs-Marketing und sind darin intensiv: Kunden-Feste, Informations-Veranstaltungen mit hochkarätigen Rednern oder ganz einfach persönliche Gesten werden in fast allen denkbaren Variationen eingesetzt. Ein Kunde lag z.B. mit gebrochener Nase im Spital und Edelweiss schickte ihm jeden Tag eine neue Pappnase. Daran wird der sich wohl noch lange erinnern...

Ganz wichtig für einen optimalen Impact ist ein konzeptionelles Vorgehen. Die Botschaft muss "single minded", d.h. auf einen ganz einfachen Nenner zu bringen sein. Am besten ist, wenn dieser einfache Nenner eine sogenannte USP (unique selling proposition, einzigartiges Verkaufsargument) darstellt. Eine solche USP sucht man bei den Werbeagenturen vergeblich. Alle sind sie kreativ. Alle denken sie konzeptionell. Alle bieten sie sämtliche Medien an. Alle weisen sie internationale Verbindungen für globales Marketing auf. Alle? Edelweiss nicht, die pfeifen auf internationale Strukturen und betonen die lokal zugeschnittene Massbetreuung. Gratuliere! Ich werde gleich darauf zurückkommen.

Bedürfnis-Ansprache ist für die Eigenwerbung von Werbeagenturen wohl der schwierigste Punkt. Am einfachsten hat es in dieser Beziehung diejenige Werbeagentur, welche anonym operieren will wie eine PR-Agentur. Sie muss automatisch auf der Preis-Schiene argumentieren. Welchen anderen Grund sollte eine Automobil-Marke haben, nicht ihr ganzes Budget über die Nobel-Agentur abzuwickeln, sondern z.T. auch über die anonyme Agentur? Doch dies stellt eine ganz spezielle Situation dar. Für Agenturen, welche der Preisdiskussion aus dem Weg gehen wollen, stellt sich die Frage: Wie können wir kommunizieren, dass wir auf seriöse Art (zwangsläufig etwas unseriöse) Kreativität vermitteln? Dies wäre die Quadratur des Kreises: In der grafischen Auswertung (welche auf einer computergestützten Hauptkomponenten-Analyse des Werbematerials beruht) oben rechts in die Ecke zu kommen. Doch selbst dem Computer, welcher nur auf Null und Eins zählen kann, war klar, dass sich die Ansprache von Pleasure auf der einen Seite und Peace (und nochmehr Profit) entgegengesetzt ist. Bei der Contexta entschloss man sich für die Kreativität - deswegen sieht ihre Hauszeitung aus wie das Programmheft eines Jugendzentrums (aber nicht wie die Information einer Firma, welche Kunden-Gelder im Hundert-Millionen-Bereich verwaltet). Bei Wirz kommen im Gegenzug die Broschüren so "solid as a rock" daher, als hätte sich der abtretende Verwaltungsratspräsident einer Versicherungsgesellschaft etwas locker geben wollen.

In der Grafik ist klar ersichtlich, dass sich die nahe beieinander liegenden Wirz und AY&R als die beiden Grossen (und respektablen) der Branche gegenseitig auf die Füsse stehen. Ein Counter-Marketing, bei dem sich diese beiden Marktführer mit Humor "auf die Schippe nehmen" bietet sich hier klar an. Desgleichen kann aus der Grafik der Rat an Edelweiss abgeleitet werden, in Sachen Aufmachungs-Qualität und Informations-Menge noch einen Zacken zuzulegen. (Die Contexta sollte dies noch viel mehr und GGK Basel würde gut daran tun, überhaupt die Eigenwerbung an die Hand zu nehmen). Am schwierigsten ist es wohl für Lesch+Frei, welche nahe am neutralen Punkt und deswegen trotz respektablem Werbe-Einsatz relativ unprofiliert sind.

In der Werbung muss man sich entscheiden. Eine klare Profilierung bzw. der dezidierte Entscheid für das anzusprechende Bedürfnis machen aus guter Werbung auch gutes Marketing. Werben heisst immer auch verzichten, sagen: Wir stehen für dieses und für jenes nicht. (Das ist der Grund, wieso ich Edelweiss zu ihrer klaren Aussage gratulierte). Der Mut zur Profilierung prägt die guten Kunden-Werbekampagnen der hier untersuchten Werbeagenturen. Es steht zu hoffen, dass sie sich diesen Mut bzw. die dahinterstehende unternehmerische Haltung auch für ihre Eigenwerbung zunutze machen. Gott ist besonders auch mit den Entschiedenen.

 

Zukünftige Entwicklungen in der Werbung

In den Gesprächen kamen die folgenden drei zukünftigen Entwicklungen in der Werbung immer wieder zum Tragen:

Multimediale Kommunikation wird ein Muss: Immer weniger wird Werbung klassische Streu-Werbung sein. Diese macht zwar gerade im Konsumgüter-Bereich immer noch den Grossteil des Werbeeinsatzes aus. Doch wie früher Public-Relations-Funktionen müssen heute auch die neuen Medien wie z.B. Internet oder CD-Roms von einer kompetenten Werbeagentur in der Produktion abgesichert und eingesetzt werden können.

Gesamt-Marketing-Themen überlagern die Werbung: Von den führenden Werbeagenturen wird längst nicht nur Werbung hergestellt, sondern sie verstehen sich als Gesamt-Marketing-Betreuer. Immer mehr wird auch die Werbe-Kontrolle und der Einsatz sämtlicher vier Marketing-P zum Thema (4P = Produkt, Preis, Promotion [neben Public Relations und Werbung auch der Verkauf sowie die Verkaufsförderung] und Plazierung [Distributions-Wege, Ladenlayout]). Zudem werden auch Marketing-Organisatorische Themen vermehrt diskutiert. Die Zeiten, in denen eine Werbeagentur dank sauberem Briefing direkt auf die "kreative Piste" geschickt wurde, sind klar vorbei.

Widersprüche werden nicht nur geduldet, sondern bewusst eingesetzt: Die Konsumenten haben Gefallen daran gefunden, widersprüchlich zu reagieren. Marken (und darunter sind nicht nur Produkte, sondern auch ganze Unternehmungen) werden bezüglich ihrer Kommunikation zwangsläufig instabil. Werbung, die sich allzuleicht einordnen lässt, wirkt heute plump. Der Zigaretten-Mann neben dem Lagerfeuer ist nicht mehr Inbegriff guter Werbung. Vielmehr ist es das Pferd neben der Unterhose.

 

Was können Sie tun?

1. Ueberprüfen Sie Ihre Werbewirksamkeit: Stellen Sie an Ihre Werbung die drei Fragen: 1. Erweckt sie Aufmerksamkeit? 2. Erreicht sie meine Kunden genügend oft? 3. Spricht sie dezidiert Bedürfnisse an? Nehmen Sie zudem jede Gelegenheit wahr, die Wirkung ihrer Werbung zu prüfen. Spricht man über Sie, gibt es einen Coupon-Rücklauf, erkennen Sie verstärkte Nachfrage, kurzum: Wie laut ist das Echo?

2. Ueberprüfen Sie die Rolle Ihrer Werbung im Gesamt-Marketing: Nehmen Sie eine Kamera zur Hand und fotografieren Sie Ihre Firma, Ihre Produkte, Ihre Firmen-Autos und Ihre Werbung. Wenn nicht alles zusammenpasst, so fragen Sie Ihren Werber, warum er Sie nicht bei jedem Treffen darauf anspricht. Fragen Sie ihn bei dieser Gelegenheit auch, welche neuen Medien Sie einsetzen sollen (und auf welche klassischen Medien Sie im Gegenzug verzichten können).

3. Besorgen Sie sich das Werbematerial Ihrer Konkurrenten. Besprechen Sie dieses kritisch. Versuchen Sie, sich über Ihre werbemässige Position klar zu werden. Welches ist Ihr direkter Konkurrent? Welches ist das Bedürfnis, auf das Sie hauptsächlich setzen? Was tun Sie, um Ihre Werbung für den kritischen Konsumenten interessant zu gestalten?

Und besonders bedenken Sie bitte an eines: Werbung ist nur einer der Kommunikations-Punkte, an denen der Kunde etwas von Ihrer Unternehmung hört oder sieht. Marketing ist nicht nur Werbung. Die nächsten "Marketing-Test"-Artikel werden davon handeln.

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