Ueber Werbebriefe
Hurra, die Post ist da!
Publiziert in Produktion+Print Nr. 3, März 1996
Der dritte von zehn "Marketing-Tests" untersucht die Werbebriefe, welche zumeist durch interne "Werbeabteilungen" erstellt werden. Was es bei einem Werbebrief zu beachten gilt, lässt sich in wenigen Punkten zusammenfassen. Trotzdem sind "Unterlassungs-Sünden" sehr häufig. Dies ist umso ärgerlicher, weil dadurch die Chance zum optimalen, den Empfänger freuenden Einsatz dieses wohl effektivsten Werbemittels nicht genutzt wird.
Der Werbebrief kann als das effektivste Werbemittel angesehen werden. Kaum eine andere Werbebotschaft kann so genau gesteuert und in ihrer Wirkung so einfach beurteilt werden. Zudem ist der Werbebrief im Verhältnis zu anderen Werbemitteln nur mit geringen Fixkosten belastet, eignet sich daher auch für kleine "Guerilla"-Aktionen von Firmen mit engen Werbebudgets. Leider werden diese Fixkosten für Idee und Text von vielen Firmen als "gegen unten offen" angesehen. Das Resultat ist, dass sich viele Firmen, welche äusserst professionelle Produkte und Dienstleistungen anbieten, mit geradezu kontraproduktiv schlecht gemachten Werbebriefen im Markt zu profilieren versuchen.
Auch Werbebriefe müssen geplant sein
Vor kurzem habe ich eine Firma gegründet. Die Briefflut war enorm. Mein Interesse zu diesem Zeitpunkt war gering. Die Briefflut ebbte in den Papierkorb... Von allen Briefen, die ich erhalten habe, war nicht einer mit dem Inhalt: "Wir gratulieren zur Geschäftseröffnung! In drei Monaten, wenn Sie das Schlimmste hinter sich haben, werden wir uns wieder bei Ihnen melden. Wenn Sie vorher auf uns zukommen wollen, so bitten wir Sie, dies zu tun". Das wäre sympathisch gewesen und ich hätte mich sicher gefreut, wenn drei Monate später das sekundäre Problem an die Hand genommen worden wäre. Oft werden Werbebriefe ohne eine Ueberlegung darüber abgesandt, in welcher Situation sich der Empfänger gerade befindet. Und bei Werbebriefen gilt, wie bei jeder Marketing-Taktik: Der Zeitpunkt ist entscheidend.
Genauso wichtig wie der Zeitpunkt ist auch die Auswahl der Empfänger: Falsche Selektion macht aus dem günstigen Werbebrief einen teuren Werbebrief. Adressen und Kundenkontakte sind hierzulande zumeist das am schlechtesten bewirtschaftete Kapital einer Unternehmung. In Amerika sieht man das ganz anders. "One-to-one-Marketing", welches auf einer sauberen Datenbasis basierend sozusagen individualisierte Angebote auch für Konsumenten anbietet, wird da schon heute als unverzichtbar angesehen, und es beherrscht (neben dem Internet) die aktuelle Marketing-Diskussion. In Europa ist man noch nicht so weit, obwohl dies hier zumindest im Business-to-Business-Bereich schon längst auch gelten sollte. Wer nicht für verschiedene Zielgruppen verschiedene Werbebriefe entwickelt, vergibt eine besondere Stärke dieses Mediums.
Mein Vorname ist sehr ungebräuchlich. Das hat Nachteile, aber auch besonders einen ganz klaren Vorteil: An Frau Luzi Rageth adressierte Briefe wandern ungeöffnet in den Papierkorb. Und ich ärgere mich auch, wenn ich den gleichen Brief als Herr Rageth, Herr Dr. Rageth und als Herr Ragetz erhalte. Ein Brief ist ein hochwertiges Kommunikationsmittel. Wird er vom Absender zu ungenau und beliebig eingesetzt, so überträgt sich diese Herabstufung automatisch auch auf ihn. Das Adressmaterial muss von höchster Qualität sein. Und sei der Aussand noch so gross (wovon generell abzuraten ist), so muss doch jede einzelne Anschrift manuell überprüft werden. Sonst sind die immer wieder als Argument gegen Werbebriefe formulierten "Rücklaufquoten im Promille-Bereich" vorprogrammiert.
Ein letzter Punkt zur Planung muss vor jeder Marketing-Aktion geklärt sein: Welches ist das Ziel bzw. welches ist unsere Kernaussage? Der Empfänger ist nicht an Produkten und Dienstleistungen interessiert, sondern an Problem-Lösungen, am Nutzen. "Kaufen Sie bei uns!" ist zur Wirkungslosigkeit verdammt. Zuerst muss man sich - wie bei aller Werbung - über die Bedürfnis-Ansprache klar sein. (Vgl. Produktion+Print Nr. 1-2 / Februar 1996). Und von dieser Basis aus lässt sich dann auch der eigentliche Text entwickeln.
Fehlende Text-Elemente sind verschenkte Werbewirkung
Die Grafik widerspiegelt das "Basis-Modell" eines Werbebriefes (womit hier immer auch Werbe-Faxe und die weniger gestaltbaren Electronic-Mails gemeint sind):
Der Text eines Werbebriefes befindet sich in dauerndem Kampf gegen den Papierkorb. Mittels Blickverlaufs-Kamera wurde nachgewiesen, dass bevor der Text in einem sechsten Schritt auch wirklich gelesen wird, zuerst fünf Punkte kurz überflogen werden. Oft kommt es gar nicht dazu, dass der Werbebrief vollständig gelesen wird. Und deswegen ist es wichtig, dass die Botschaft schon vorher vermittelt wurde.
Sind - wie im Basis-Modell - Anschrift und Unterschrift rechtsstehend, so konnte festgestellt werden: Im ersten Ueberfliegen wird ein Werbebrief wie ein grosses S wahrgenommen.
1. Zuerst wird die Adresse kontrolliert: Bin das wirklich ich, der da angeschrieben wird? Stimmt die Adresse nicht, so wandert der Brief in den Papierkorb.
2. Als zweites (nachdem das Firmen-Logo kurz gestreift wurde), wird die sogenannte "Johnson-Box" gelesen. Diese muss (in möglichst überraschender bzw. interssanter Form) die Kernaussage enthalten. Wenn ich die in der letzten Zeit erhaltenen Werbebriefe durchgehe, so stelle ich fest, dass in 90 % der Fälle die Johnson-Box entweder ausgelassen wurde oder wie ein normaler Geschäftsbrief nur einen kurzen und langweiligen Betreff wie "Firmengründung", "Info über ..." und "Anfrage" aufführte. Das ist nicht interessant! Und deswegen hätte ich, wenn nicht gerade dieser Artikel angestanden wäre, all diese Werbebriefe ungelesen entsorgt.
3. Hervorhebungen im Text sind der nächste Punkt, der flüchtig wahrgenommen wird. Hier zeigt sich, wer weiss, was er sagen will. Im besten Falle sind maximal fünf Hervorhebungen zu machen. Noch besser sind drei. Zudem darf eine Hervorhebung nie über eine Zeile hinaus gemacht werden. Denken Sie an das S und Sie werden sofort erkennen, weshalb.
4. Oft werde ich von mir völlig unbekannten Leuten angeschrieben. Und hätten die Ihren Familien-Namen nicht zu Ihrem Firmen-Namen gemacht - was generell zu hinterfragen wäre - so wüsste ich nicht, wer mich anschreibt. Ich müsste doch wissen, mit wem ich es da zu tun habe, aber oft steht zur unleserlichen Unterschrift nicht einmal der Name in Maschinenschrift, geschweige denn eine Funktion oder Stellung. Ein Werbebrief ist ein persönliches Werbemittel. Sie verschenken viel seiner sympathischen Wirkung, wenn Sie ihn unpersönlich gestalten.
Als Berater habe ich in den letzten Jahre klar feststellen können, dass die Unterschrift manuell und eigenhändig sein muss. Eine Unterschrift ist nicht nur ein optisches Zeichen, welches vom Empfänger sehr genau registriert wird, sondern der Ablauf des Unterschreibens (man schafft zwischen hundert und zweihundert Briefe pro Stunde) ist auch die letzte Qualitäts-Sicherung: Ist das nicht mein grösster Kunde mit dem ich seit kurzem per Du bin, der da mit "Sie" angeschrieben wird? Hatte ich nicht gerade Herrn E. Müller und jetzt schon wieder Herrn Erich Müller? Wenn mir schon die Adressdatenbank nicht erlaubt, nach "Du" und "Sie" zu selektieren, kann ich diesen Mangel nicht beheben, indem ich zusätzlich zur Anrede "Sehr geehrter Herr Meier" noch ein handschriftliches "lieber Peter" hinzusetze?
Zu Deutsch: Wenn Sie sich für die eigenhändige Unterschrift zu schade sind, so sparen Sie sich am besten gleich auch das Porto. Und wenn Sie 3'000 Briefe versenden wollen, so überlegen Sie sich erstens die Selektion, zweitens ob nicht die Briefe von verschiedenen Leuten unterschrieben werden können und drittens ob sie wirklich alle aufs Mal versandt werden müssen.
5. Achten Sie einmal darauf: Wieviele Werbebriefe lesen Sie zuende? Bei mir sind es weniger als 10 %. Und von wievielen, wenn Sie sie denn offen in der Hand hatten, haben sie vor dem Wegwerfen noch das PS gelesen? Bei mir sind es mehr als 90 %. Wer das PS weglässt bzw. kein gutes PS hat, verschenkt mindestens 50 % der Wirkung. "Beilage erwähnt" und "Rufen Sie uns bitte an, wir beraten Sie gerne" sind keine guten PS.
6. Und jetzt endlich ist es so weit. Jetzt, nachdem die vorherigen fünf Punkte dem Empfänger keinen Grund gegeben haben, den Brief wegzuwerfen, jetzt fängt er an, sich mit dem zu beschäftigen, was wir ihm im eigentlichen Text mitteilen wollen. Dieser Text muss als erstes einen guten Einstieg enthalten, das erste Wort bzw. der erste Satz muss zum Weiterlesen anregen. "Aufgrund Ihrer Publikation im Handels-Amtsblatt..." regt mich nicht an. "Wir sind die führenden..." auch nicht. "Lachen ist gesund!" schon eher (nur ging's dann weiter im Text nicht mehr so lustig zu und her). Der nachfolgende Text muss gesamthaft interessant, fehlerfrei und konzentriert auf die wichtigsten Punkte sein. Die Kunst der Beschränkung macht einen guten Brieftext aus. Also verzichtet man besser auf die 23 Vorteile der Unternehmung oder des Produktes und hebt lieber die wichtigsten drei hervor.
Ein letzter Punkt ist das weitere Vorgehen. Bedenkt man, dass der Empfänger an Nutzen und Problemlösung interessiert ist, so sollte ihm im Text auch ein Vorschlag dazu gemacht werden. Der klassische Ablauf einer erzielten Werbewirkung verläuft nach der "AIDA"-Formel (attention/Aufmerksamkeit, interest/Interesse, desire/Drang, action/Aktion). Ueberlassen Sie es dem Empfänger nicht, sich die "action" selber ausdenken zu müssen, sondern machen Sie ihm einen Vorschlag. Er wird es Ihnen zu danken wissen, dass Sie ihm diese Arbeit abnehmen.
Natürlich stellt der hier in seinen Grundstrukturen vorgestellte Werbebrief nur ein Basis-Modell dar, von dem ausgehend mit Phantasie und Mut erst individuelle und wirksame Werbebriefe entwickelt werden. Sicher kann man auch bewusst das eine oder andere Element weglassen, man sollte sich dabei jedoch im klaren darüber sein, was man damit verschenkt.
Beilagen machen den echten Meister
Werbung geht nicht ohne Ideen. Oft entscheidet die Beilage, ob der Werbebrief nachhaltige Wirkung zeigt oder nicht. Ist der Prospekt auch wirklich so gut, dass er dann auch angeschaut wird? Ist das Antwort-Formular so, dass es auch ausgefüllt wird? Hat das beigelegte Geschenk (oft "Gadget" genannt) auch einen Bezug zur transportierten Kernaussage? Ist das Geschenk auch wirklich nützlich für den Empfänger, sodass er sich darüber freut, oder erhöht es nur die Taschenrechner- oder Taxcard-Sammlung seines Sohnes?
Wie jede gute Werbung entwickelt ein Werbebrief das Maximum seiner Wirkung dadurch, dass darüber gesprochen wird. Ich selber habe oft die Erfahrung gemacht, dass der Text des Briefes dies niemals in der Art und Weise geschafft hätte wie die Beilagen. Deswegen zeigt sich wahre Meisterschaft bei Werbebriefen in erster Linie in der Wahl der richtigen Beilage.
Die nächsten Schritte vor dem Versand planen
Ein guter Werbebrief kann ganz enorme Wirkung entwickeln. Schade ist, wenn diese mangels vorausschauender Planung verpufft. Natürlich ist es schön, wenn alle drei Minuten das Telefon klingelt, weil jemand eine Bestellung machen will. Noch schöner wäre es, Sie hätten eine Viertelstunde Zeit, um aus einer kleinen Bestellung eine gute Beratung und eine grosse Bestellung zu machen. Ein Werbebrief regt wie kaum ein anderes Werbemittel zu wechselseitiger Kommunikation an. Diese muss einfach und schnell geschehen können.
Zudem lässt sich die Wirkung eines Werbebriefes nochmals deutlich erhöhen, wenn er (wie jede Werbung) dazu eingesetzt wird, das Feld für einen aktiven Verkauf vorzubereiten. Oft erhalte ich Werbebriefe mit ansprechendem Inhalt. Und weil ich dann nicht reagiere, folgt auch nichts mehr. Gerade im Business-to-Business-Verkehr kann ein Werbebrief für den nachfolgenden Verkauf mit Gewinn eingesetzt werden. "Haben Sie unsere Stopp-Uhr erhalten? Ich trage zwar einen Anzug und nicht einen Jogging-Dress - trotzdem würde ich Sie gerne von unserer Geschwindigkeit überzeugen kommen" - das ist doch ein besserer Einstieg als "Guten Tag, ich bin Aussendienstmitarbeiter der Firma 'DV-PrePress' und würde Ihnen gerne unser Angebot präsentieren".
Wie gerade der Aussendienst in der Kommunikationswirtschaft Marketing umsetzt, wird in der nächsten Produktion+Print am Beispiel der Druckvorstufen-Betriebe ausgetestet. Doch zuvor sollte noch besprochen werden, was Sie tun können.
Was können Sie tun?
1. Ueberprüfen Sie Ihren nächsten Werbebrief anhand der in der Textbox aufgelisteten Punkte. Keineswegs müssen alle Werbebriefe nach dem gleichen Muster gestaltet werden. Es empfiehlt sich aber, sich zu überlegen, weshalb und wie man von der Grund-Form abweichen will.
2. Integrieren Sie Werbebriefe in Ihr Gesamt-Marketing und entwickeln Sie sie innerhalb einer Planung. Wie die einzelne Anzeige in ihrer Wirkung verpufft, so wird auch ein einzelner Werbebrief nicht seine volle Wirkung entfalten. Weil Werbebriefe meist intern erstellt werden, wird aufgrund von "Zeitmangel" oft auf sie verzichtet. Wie lange ist es her, seit Sie Ihren letzten Aussand machten? Wenn es länger als ein halbes Jahr her ist, so vergeben Sie eine günstige, sympathische und äusserst effektive Möglichkeit, für sich zu werben.
3. Ein Werbebrief lässt sich leicht austesten. Besprechen Sie ihn vor dem Erstellen. Ist er wirklich so, dass sich der Empfänger darüber freuen kann? (Idealfall: "Hurra, die Post ist da!") Sie ärgern sich über die viele Post, die Sie ungefragt zugesandt kriegen? Was sollen Ihre Kunden von der Post halten, die sie von Ihnen kriegen? Nur der Werbebrief, der den Empfänger auch freut, erzielt eine optimale Wirkung.
Planung
Stimmt der Zeitpunkt?
Stimmt die Adress-Selektion / Zielgruppe?
Stimmt das Adressmaterial?
Welches ist die Kernaussage?
Text
Ist die Johnson-Box interessant?
Ist die Informations-Menge aufs Minimum beschränkt?
Sind die Hervorhebungen die richtigen?
Stimmt die Unterschrift und ist sie klar?
Ist das PS so, dass es die Kernaussage transportiert und zum Weiterlesen auffordert?
Beilage
Ist die Beilage nützlich und interessant?
Transportiert die Beilage die Kernaussage?
Die nächsten Schritte
Hat der Empfänger die Möglichkeit, einfach und schnell zu reagieren?
Sind die Nachfass-Aktionen geplant?
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