Der Zwiespalt zwischen einem guten Verkaufs- und einem guten Marketing-Leiter

Publiziert in Marketing & Kommunikation Februar 2/96

Smartie & Rauhbein

Klein- und Mittelbetriebe weisen zumeist sehr gute Produkte und einen ebensolchen Verkauf auf. Das Gesamt-Marketing vermag hingegen diesem hohen Standard nur sehr selten zu genügen. Der Grund für dieses Missverhältnis liegt in den zweispältigen Anforderungen an den Verkaufs- und Marketing-Leiter, welche sich aus dem Verkauf einerseits und den Marketing-Aufgaben andererseits ergeben. Wir untersuchen, wie sich dieser Zwiespalt im Anforderungsprofil für Verkaufs- und Marketingleiter äussert und welche Punkte zur konkreten Umgehung des Zwiespaltes zu beachten sind.

In der aktuellsten amerikanischen "Sales&Marketing"-Ausgabe wird die folgende Marketing-Lösung beschrieben: Die Verkaufsleitung wird durch den Firmen-Gründer wahrgenommen. Er ist ein "Rauhbein", knapp zwei Meter gross und mit einem Körper, den man sonst nur aus Body-Building-Magazinen kennt. Er ist ein echter Hot-Shot, geniesst den Auftritt und das martialische Gehabe, wenn er zur Verkäufer-Sitzung eine Maschinen-Pistole als Symbol mitnimmt, um zu unterstreichen, dass er die Konkurrenz vom Platz fegen will. Inwiefern solche Symbolik auch in Europa zu motivieren versteht, sei dahingestellt. Auf jeden Fall lässt dieser Verkaufsleiter keinen Zweifel daran aufkommen, dass er den Erfolg will und ihn auch braucht und geniesst. Und darin ist er ein gutes Beispiel für einen erfolgreichen Verkaufsleiter.

Der Marketing-Leiter hingegen sieht aus, als hätte er gerade seine zweite Vorlesung in Soziologie hinter sich. Metallbrille, intellektuelles Gesicht, nettes Lächeln. Ein "Smartie", wie er im Buche steht. Ihm traut man zu, dass er mit der Lösung eines Problems nicht einfach im "80 zu 20 Verfahren" zufrieden ist, sondern immer die Aufgabe durchdringen und eine begründete optimale Antwort finden will.

Die beiden sind ein sehr gut funktionierendes Team und haben gemerkt, dass sie einander brauchen. (Was seitens des Verkaufsleiters nicht von Anfang an klar war). Der Betrieb ist mit über 800 Millionen Dollar Umsatz auch gross genug, dass er beide bezahlen und beschäftigen kann. Im Klein- und Mittelbetrieb, der weniger als 200 Mitarbeiter beschäftigt, ist dies leider nicht der Fall.

 

Alles hängt am Verkaufs- und Marketing-Leiter

Der Verkaufs- und Marketing-Leiter eines Klein- und Mittelbetriebes ist in der Mehrzahl der Fälle der Firmen-Inhaber selber. Er hat es dadurch, dass er verkaufsstark ist, geschafft, den Betrieb auf- und auszubauen. Spätestens ab 10 Mitarbeitern ist für einen Betrieb klar, dass sich unterstützend zum persönlichen Verkauf auch der Einsatz von Marketing-Instrumenten und -Techniken lohnt. Glücklich derjenige, der dabei auf eine versierte Sekretärin (oder Gattin) zurückgreifen kann, die ihm diese Aufgabe abnimmt. Etwas weniger glücklich ist derjenige, der sich dieser Aufgabe in Ermangelung einer Delegationsmöglichkeit selber widmet. Er, der immer eher auf der Seite des "Rauhbeins" des obigen Beispiels stand, muss nun zeigen, dass er auch ein "Smartie" ist.

"Verkaufen und Marketing sind weder identisch noch ergänzen sie sich; sie sind im Gegenteil völlige Gegenpole. Es ist anzunehmen, dass immer etwas 'Verkaufen' notwendig sein wird. Aber das Ziel des Marketings ist es, das Verkaufen überflüssig zu machen". Diese Einsicht stammt ursprünglich von Peter F. Drucker und wird von Philip Kotler in seinem Standard-Werk uneingeschränkt geteilt. Die Gegenpole Verkaufen und Marketing erfordern sehr unterschiedliche persönliche Präferenzen. Natürlich lässt sich dagegenhalten, dass sich mit etwas gutem Willen und genügend Disziplin auch ein Rauhbein sich Smartie-Seiten aneignen kann. Es ist auch klar, dass nicht alle guten Verkäufer ausgesprochene Rauhbeine sind. Trotzdem ist sicher, dass ein guter Verkäufer nur in äusserst seltenen Fällen auch von Haus aus an Marketing-Aufgaben direkt interessiert ist. Und richtig gut sind wir nur da, wo wir auch das nötige Interesse mit auf den Weg gekriegt haben.

 

Verkäufer-Anforderungsprofil

Es ist äusserst schwierig, ein Psychogramm des erfolgreichen Verkäufers zu liefern. Immer wieder gibt es Leute, auf die die gemeinhin einem starken Verkäufer zugeordneten Charaktermerkmale nicht passen und die gleichwohl erfolgreich sind. Grossunternehmen setzen trotzdem die verschiedensten Tests ein, um im voraus zu wissen, ob ein Bewerber später auch ein guter abschlussstarker Verkäufer sein wird. Um diese Tests zu bestehen, gibt Kotler die folgenden Tips: "Geben Sie immer die konventionellste Antwort. Zeigen Sie, dass Sie die Dinge so mögen, wie sie sind. Deuten Sie an, dass Sie sich niemals Sorgen machen. Bestreiten Sie jede Liebe für Bücher oder Musik". Ich bin sicher, dass diese Haltung zum Austricksen der Verkäufer-Tests - sofern sie echt und nicht nur gespielt ist - auch die Mehrzahl der guten Verkäufer auszeichnet.

 

Marketing-Anforderungsprofil

Kotlers Ansichten sind nicht sakrosankt. Dennoch möchte ich ihn noch ein drittes Mal zitieren um aufzuzeigen, wie die zwiespältigen Anforderungen an den Verkaufs- und Marketing-Leiter schon in diesem Basis-Werk für gutes Marketing klar angelegt sind. Marketing-Effizienz zeigt sich danach in den folgenden Punkten:

1. Kundenorientierung (differenzierte Angebote und Pläne für verschiedene Kundengruppen, welche das gesamte Marketing-System, d.h. z.B. auch Lieferanten und Konkurrenten einbeziehen).

2. Integrierte Marketing-Organisation (Einbezug sämtlicher Bereiche in die Marketing-Entscheidungen)

3. Adäquate Marketing-Informationen (Marktstudien, Kunden- und Kundengruppen-Evaluationen, Marketing- und Werbewirkungskontrollen)

4. Strategische Orientierung (Formale und institutionalisierte Marketing-Planung, klare Strategie, Planung von Eventualfällen wie z.B. Zusammenschluss der beiden wichtigsten Konkurrenten)

5. Operationale Effizienz (Information über das Marketing-Konzept an die Mitarbeiter, genügend Mittel zur Verfügung, Reaktionsgeschwindigkeit).

Sind dies Aufgaben für einen Mann, der lieber eine naheliegende Antwort sucht, der mit dem Status quo grundsätzlich zufrieden ist, der sich keine Sorgen macht und der weder Bücher noch Musik liebt? Die Antwort ist ganz klar ein Nein: Die Anforderungen an den Verkaufs- und Marketing-Leiter sind deswegen höchst zwiespältig.

 

Marketing-Malaise in kleineren Unternehmungen

Was tun Sie heute nachmittag lieber: Einen schwierigen Kunden überzeugen oder den Versand des nächsten Werbebriefes einleiten, um danach das Konzept für Ihre Internet-Homepage zu erarbeiten? Ihre Verkaufsmitarbeiter zu neuen Höchst-Leistungen anspornen oder das Marketing-Budget fürs nächste Jahr festlegen? Die Antwort sollte, wenn Sie Verkaufsleiter sind, beide Male wie aus der Kanone geschossen kommen, denn als primärer Verkäufer wollen Sie zuerst verkaufen. Verkauf geschieht "an der Front" und dem guten Verkaufsleiter ist an der Front am wohlsten. Und genauso klar ist leider auch, was in der Zwischenzeit mit den Marketing-Aufgaben geschieht. Der Auftritt der meisten Klein- und Mittelbetriebe zeugt davon. Selten versucht sich ein Betrieb durch das, was er dem Markt zeigt (seine Produkte, seine Preisstruktur, seinen werblichen Auftritt oder seine Distributionswege), von seiner Konkurrenz abzuheben. Und zwar einheitlich anstatt einmal so und das nächste Mal wieder anders!

Sehen Sie sich einmal die Werbebriefe und Prospekte an, die Sie sozusagen täglich zugeschickt kriegen. Beachten Sie auf dem Weg zur Arbeit die Firmenanschriften und -fahrzeuge, an denen Sie vorbeifahren. Wieviel Aufwand wird da betrieben und wie wenig dient es dazu den Verkauf entscheidend zu erleichtern. Erinnern Sie sich an den letzten Tag der offenen Türe, den Sie besuchten? Was war das für ein Betrieb und in welcher Branche ist er tätig? Hätte nicht der Tag der offenen Türe bei der örtlichen Post genauso ablaufen können?

 

Was lässt sich dagegen tun?

Es ist wahrscheinlich, dass fast jeder Verkaufs- und Marketing-Leiter eines Klein- und Mittelbetriebes Philip Kotler im Verkaufen ausstechen würde (und mich übrigens auch). Aufgrund der spezifischen Anforderungen schneiden gute Marketer auch bei Verkäufertests eher schlecht ab: Gutes Marketing sieht zwar so aus, als wäre es die naheliegendste Antwort, doch dahin kommt man normalerweise nicht, indem man diese von Anfang an anpeilt. Gutes Marketing stellt durch gründliches methodisches Vorgehen die Dinge, so wie sie sind, infrage und will deswegen bestehendes verändern. Gutes Marketing "macht sich Sorgen", d.h. es sucht vorausschauend Antworten auf Fragen, die sich erst später stellen. Gutes Marketing ist grösstenteils aus Spass an der Sache, d.h. am methodologisch richtigen Vorgehen, heraus motiviert. Kurzum: Gutes Marketing stellt die richtigen Fragen und erarbeitet daraus die neuen Lösungen, welche es der Unternehmung und ihren Produkten erlauben, sich auf Kundenbedürfnisse ausgerichtet von der Konkurrenz abzusetzen und damit den Verkauf entscheidend zu erleichtern.

Das Marketing der Klein- und Mittelbetriebe lässt sich verbessern, wenn sich der "Rauhbein"-Verkaufsleiter über seine primären Neigungen klar wird und dem "Smartie" Raum gibt. Dieser Smartie kann in ihm selber stecken, er kann in seiner Unternehmung sein oder er kann auch im Rahmen eines Outsourcing von aussen herbeigezogen werden. Auf jeden Fall müssen die folgenden Punkte beachtet werden:

1. Kundenorientierung: Überlegen Sie sich, wie genau Ihr Zielkunde aussieht und wie sie genau diesem (und nicht etwa auch jedem Menschen) noch besser mit Ihrem Angebot entgegenkommen.

2. Integrierte Marketing-Organisation: Nehmen Sie sich - auch wider Willen und trotz verlockender Umstände - Zeit. Institutionalisieren Sie Marketing-Sitzungen und -Aufgaben wie z.B. die Entwicklung neuer Pläne und halten Sie sich bzw. dem damit Beauftragten die nötige Zeit frei. Und sollte nun gerade ein neuer Auftrag winken, so geben sie diesem nicht jedesmal den Vorzug!

3. Adäquate Marketing-Informationen: Sammeln Sie systematisch Marktinformationen und leben Sie gerade in dieser Beziehung - die bei den meisten Klein- und Mittelbetrieben sehr stark vernachlässigt wird - nicht von der Hand in den Mund. Nur auf sauberer kontinuierlicher Analyse lassen sich wirklich gute Ideen generieren.

4. Strategische Orientierung: Bauen Sie ausgehend von einer USP (Unique selling proposition = einzigartiges Verkaufsargument) Ihre sich auf sämtliche vier Marketing-P (Produkt, Preis, Promotion, Plazierung) sowie die nötige Infrastruktur erstreckende in sich stimmige Strategie auf. Vergessen Sie dabei nicht die genaue Planung und Verantwortlichkeits-Zuweisung im kurzfristigen Bereich, damit nichts liegen bleibt.

5. Operationale Effizienz: Informieren Sie Ihre Marktpartner und Mitarbeiter über Ihr Marketing und stellen Sie sowohl zeitlich wie finanziell die nötigen Mittel zur Verfügung.

Und vielleicht noch eine letzte Anregung: Warum hören Sie nicht wieder einmal gute Musik, z.B. eine ganze CD am Stück aus Ihrer Stereoanlage. Oder warum lesen Sie nicht wieder einmal ein gutes Buch, z.B. "Bottom up Marketing" von Ries und Trout oder auch etwas Belletristisches?

 

Zwei Beispiele für Outsourcing von Marketing-Funktionen

Beispiel 1:

TYPOLITHO AG, Zürich
Externe Marketing-Betreuung

Beispiel 2:

TITAN GARAGE AG, Zürich
Marketing-Coaching

Betrieb: Führender Druckvorstufen-Betrieb im Raum Zürich mit 60 Mitarbeitern.

Problem: Strategische Neuorientierung aufgrund dank neuen Technologien massiv veränderndem Umfeld.

Ziel: Strategie-Findung. Kommunikation an Mitarbeiter. Planung integrierter Marketing-Aktionen. Neue Ideen.

Lösung: Marketing-Konzeption durch mehrstufiges Marketing-Team, geleitet durch externen Betreuer. Mitarbeit bei der Umsetzung durch externen Betreuer.

Betrieb: Grösste unabhängige BMW- und SAAB- Garage der Schweiz mit 80 Mitarbeitern

Problem: Aktivierung des Marketings in einem hart umkämpften Markt.

Ziel: Absicherung des funktionierenden Marketing-Konzeptes. Erleichterung der Umsetzung durch Know-How-Transfer. Neue Ideen.

Lösung: Kontinuierliches Marketing-Coaching (ohne Umsetzungs-Mitarbeit des externen Betreuers).

 

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