Ueber Produkt-Pflege am Beispiel des Renault Espace

Espace forever

Publiziert in WerbeWoche Nr. 13, 4. April 1997

Die Mini-Vans legten im letzten Jahr gegenüber dem leicht rückläufigen gesamten Automobilmarkt um mehr als zwölf Prozent zu. Zeit für die WerbeWoche, sich diese Nische genauer anzusehen. Zeit aber auch, die Marketing-Problematik des Renault Espace - ein echtes Marketing-Highlight - aufzuzeigen.

„Wie hiess der erste Mensch, der im Alleinflug den Atlantik überquerte? Charles Lindbergh, richtig? Wie hiess der zweite Mensch, der über den Ozean flog? Gar nicht so einfach, stimmt’s? Der Name des zweiten Mannes, der zum Soloflug von den USA nach Europa startete, lautet Bert Hinkler. Er war ein besserer Pilot als Charlie. Er legte die Strecke schneller zurück. Er verbrauchte weniger Sprit. Aber wer kennt schon Bert Hinkler? (Uebrigens, eines Tages verliess er das Haus, um Zigaretten zu holen, und seither hat selbst Frau Hinkler nichts mehr von ihm gehört)." Mit dieser kleinen Geschichte beginnen Al Ries & Jack Trout ihre „22 unumstösslichen Gebote im Marketing", und das erste Gebot lautet ganz einfach: Seien Sie Erster!

Eine Frage: Woran denken Sie zuerst, wenn Sie nach Mini-Vans, Grossraum-Limousinen gefragt werden? In 80% der Fälle wird zuerst der Renault Espace genannt. Klar der Erste. Wie kam das? Er war schon immer der Erste. Und er wird’s wohl auch bleiben. Nummer 1 - Marken werden sehr selten ausgewechselt. (Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass 1996 der Espace zum ersten Mal vom Chrysler Voyager überholt wurde).

 

Was läuft?

Was läuft derzeit im Automobilmarkt? Ford setzt mit neuen Modellen auf emotionaleres Design, Opel als Branchen-Leader baut Typen-Marken auf, Toyota kämpft unter eigenem Namen auch nach dreissig Jahren noch gegen das Newcomer-Image und mit Lexus um gehobene Käuferschichten, VW geht in der Kommunikation neue Wege und splittet sein Händlernetz von Audi ab. Und Renault? Renault hat das Motto seines stärksten Pferdes im Stall zu seinem Gesamtmotto gemacht: Autos zum Leben.

1983 kam der erste Espace in Frankreich auf den Markt. Im ersten Jahr war er ein totaler Flop. Das Konzept des Autos, übrigens vom Architektur-System „Modulor" von Le Corbusier inspiriert, lautete: Aussen so klein wie möglich, innen soviel Raum wie realisierbar und besonders: Ein flacher Boden wie zuhause, zum Selber-Gestalten. Dieses Konzept schien zuerst gar nicht anzukommen. Doch dann ging’s steil bergauf. Und es dauerte zehn Jahre, bis sich die Konkurrenz ebenfalls in dieser margenträchtigen Nische breitmachte.

 

Einzelmodell vs. Kooperationen

Derzeit fahren knapp 30'000 Renault Espace auf Schweizer Strassen, Toyota Previa und Chrysler Voyager bringen’s auf gut die Hälfte davon. Dadurch werden allein durch den Ersatzbedarf (Der Espace geniesst die sehr hohe Wiederkaufs-Rate von 70%) die Umsätze auf hohem Niveau festgeschrieben. Und die Expansion im Monospace-Bereich geht weiter, wie Pascal Cohen im Interview erläutert.

Der Espace macht bei Renault mehr als 15% des Umsatzes aus, der Voyager bei Chrysler sogar über 40%. Damit ist klar, dass die Mini-Vans bei diesen Marken ein Umsatz-Pfeiler sind. Bei anderen Marken hingegen stellen sie nur ein Randsortiment dar. Randsortimente kann man auch durch Fremd-Einkauf und Kooperationen bedienen. Das haben vor ein paar Jahren Citroën (Evasion), Peugeot (806), Fiat (Ulysse) und Lancia (Z) mit dem Sammel-Modell U60 vorgeführt: Diese Fahrzeuge unterscheiden sich nur durch einen individuellen Kühlergrill und markengerechte Steuerräder. Der Rest ist völlig identisch. Genau so haben letztes Jahr VW (Sharan), Ford (Galaxy) und Seat (Alhambra) über alle Gräben hinweg kooperiert.

Der Grund für diesen Sprung über den eigenen Schatten ist technischer Natur: Der Espace hat eine Kunststoff-Karosserie, die sich rentabel bei einer Auflage von rund 300 Fahrzeugen pro Tag fertigen lässt. Für eine Stahl-Karosserie braucht es eine Auflage von 800 Fahrzeugen pro Tag. Das können höchstens Chrysler und Toyota. Selbst der U60 käme nicht einmal auf so viele Einheiten. Doch im gleichen Werk werden auch kleine Nutzfahrzeuge produziert.

 

Die Leaderposition

Die Leader-Position des Espace kann durch solche Kooperations-Modelle nicht gefährdet werden. Nie sind so einzigartig wie das positionierte Einzelmodell. Auch die Nummer zwei und drei, also Chrysler Voyager und Toyota Previa werden dem Espace nicht auf Dauer das Wasser abgraben können. Dazu kamen sie einfach zu spät. Doch das allein macht den Espace noch nicht zu einem Marketing-Highlight. Was sonst aber hebt ihn aus der Automobil-Landschaft heraus? Ganz einfach: Renault hat die Taktik „Monospace" zur Strategie „Autos zum Leben ausgebaut". Das ist bottom-up Marketing in Reinkultur. Und deswegen wird dieses Highlight des Automobil-Marketings noch eine ganze Weile strahlen.

 

Interview mit Pascal Cohen, Marketing Direktor bei Renault Schweiz

Der Nischeneffekt wird immer kürzer

Herr Cohen, das neue Modell des Espace ist noch bulliger als die Neuauflage vor fünf Jahren. Warum dieser erneute Wandel weg vom puritanischen Design?

Das ist ein Resultat aus unserer Marktforschung. Der Espace liegt in allen Image-Komponenten sehr gut, ausser beim Sicherheitsempfinden. Wir haben sehr viel zur Verbesserung der Sicherheit getan und bringen dies nun auch im Design zum Ausdruck. Allein die technischen Verbesserungen würden das Image nicht bzw. nicht in der geforderten Geschwindigkeit ändern können.

Warum haben Sie die Monospace-Familie ausgebaut?

Der Espace ist ganz klar ein Imageträger und ein Zugpferd. Er hält sich prächtig im Markt. Doch mit seinen 4.50 m Länge ist er nicht für jede Zielgruppe gleich geeignet. Deswegen haben wir vor vier Jahren den Clio auf den Markt gebracht, der ist 3.40 m lang. Ein klassischer Frauen- und Zweitwagen, er könnte Mini-Nachfolger werden. Dieses Jahr lancierten wir in der Golf-Klasse den 4.10 m langen Mégane Scénic, der schon zum Auto des Jahres 1997 erkoren wurde. Er eignet sich besonders für Familien, aber auch als Flotten- und Handwerker-Auto. Der Espace kann sich so auf grössere Familien (z.B. mit Hund) und Laderaum brauchende Berufe (z.B. Mode, Hotellerie) konzentrieren; nächstes Jahr gibt es ihn auch noch mit verlängertem Radstand.

Von einer klassischen Line-Extension mit ihren Gefahren kann man nicht sprechen?

Jedes dieser Monospace-Modelle hat einen klar eigenen Namen und eine ebensolche Positionierung. Eine Kannibalisierung der Cash-Cow Espace ist nicht zu erwarten. Auch kein Fading, kein Unschärfer-Werden des Images. Aber Clio und Scénic profitieren natürlich davon, dass der Espace den Weg geebnet hat.

Neue Konkurrenten mit Kooperationsmodellen treten nun im Mini-Van-Markt an. Was bedeutet das für Sie?

Mit dem Espace hatten wir zehn Jahre Vorsprung. Mit dem Clio noch vier. Und mit dem Scénic werden wir noch zwei haben. Der Nischeneffekt wird immer kürzer. Das ist natürlich nicht gut für die Rendite. Doch wir haben den Leader Espace. Und zur Entwicklung kann man nur mit gutem Mut sagen: „Ca fait partie du jeu".

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