1:1-Marketing erobert Europa
Publiziert in M+K Juni 1999
Inkl. Interview mit Don Peppers
1:1-Marketing ist nicht eine Frage der Informations-Technologie, sondern der Menschen und ihrer Bereitschaft, mit dem Kunden zu interagieren. Es spielt keine Rolle, wie gross eine Firma ist. Worauf es ankommt ist der Wille, auf den einzelnen Kunden einzugehen, ihm wie früher im Tante-Emma-Laden das Gefühl zu geben: Gerade für Dich habe ich etwas Besonderes.
Toyama no Kusuri-Uri: Die Japaner kennen ein System für die Grundversorgung mit Medikamenten. Jedem Haushalt wird eine Hausapotheke zur Verfügung gestellt, die analog einem Rack-Jobbing jede Woche kontrolliert und aufgefüllt wird. Nur der Verbrauch wird in Rechnung gestellt, und dieser wird in einer Datenbank namens "Daifuku cho" festgehalten. So weiss "Toyama no Kusuri-Uri" über den medizinischen Bedarf jedes Haushalts Bescheid und kann auch präventive Vorschläge machen. Das System spiegelt die Grundzüge des 1:1-Marketings wieder. Es existiert seit 1750.
Don Peppers, zusammen mit Martha
Rogers Begründer des 1:1-Marketings, hielt Ende März einen Vortrag in Zürich. Dabei
wurde klar, dass 1:1-Marketing keineswegs allein eine Frage der IT
(Informations-Technologie) ist, sondern eine Frage der grundsätzlichen Ausrichtung. Diese
grundsätzliche Ausrichtung lässt sich in vier Punkten als 1:1-Marketing Programm
zusammenfassen:
Es geht darum, mittels 1:1-Dialog immer besser dem Kunden zu entsprechen und ihn damit an sich zu binden. |
Don Peppers Begründer des 1:1-Marketings |
1:1 Information
Die vier Schritte zur Implementierung von 1:1-Marketing lauten:
Damit ist klar, dass in diesem ganzen Prozess die Generierung und Auswertung von Information über jeden einzelnen (potentiellen und wirklichen) Kunden von zentraler Bedeutung ist. Heinz Ruesch (High-Tech Marketing, Zürich) hierzu: "Wer die Informationen besitzt, dem gehören die Kunden".
Da es sich um Informationen über Einzelpersonen (und eben nicht über Zielgruppen) handelt, gilt es dabei, Sparsamkeit walten zu lassen und die Datenschutz-Interessen des Kunden zu wahren. Don Peppers empfiehlt, sich vor der Informationsbeschaffung über seine Politik im Umgang mit persönlichen Daten klar zu werden und diese auch von anfang an offenzulegen. Sein 10-Punkte-Programm zur 'Privacy' muss jeden Marketer aufhorchen lassen: Strikt angewendet kann 1:1-Marketing darauf hinauslaufen, dem Kunden zu sagen, was man über ihn weiss bzw. mit welchen Informationen man versucht, seinen Wünschen am besten zu entsprechen. Stellen Sie sich einmal vor, eine Bank würde hierzulande jedem Kunden sein File (im Volksmund seine 'Fiche') offenlegen. Hier wird klar, dass 1:1-Marketing ein radikales Umdenken im Corporate Behavior erfordert.
Wichtig ist aber auch die Sparsamkeit in der Informationsbeschaffung. Bei jeder Information muss - gerade angesichts der schier unendlichen Möglichkeiten der Datenspeicherung und des Data-Mining - gefragt werden: Brauche ich dies überhaupt. Dient es wirklich dazu, dem Kunden besser zu entsprechen? Die Optimierung des Angebots für den einzelnen Kunden ist ein Prozess, den man mit den sparsamen Augen eines Business Process Ingenieurs analysieren muss.
1:1 Automatisierung und Web-Einsatz
Diskussionen über 1:1-Marketing verlaufen oft so, als würde jemand behaupten, er spreche übers Autofahren, also über die Orte, die er sehen will, das Fahrgefühl oder die Transport-Möglichkeiten. Stattdessen spricht er die ganze Zeit nur über den Motor, also über Zylinder, Hubraum und Drehmoment. Es erstaunt nicht, dass zur Tagung mit Don Peppers 50% 'Business'- und 50% 'IT'-Leute kamen. "Wir sind uns bewusst, dass es eigentlich drei Viertel 'Business'-Teilnehmer sein müssten" bemerkte dazu treffend der Gastgeber Frank Boller, General Manager von Hewlett Packard Schweiz. Dies ist wohl auch der Grund, weshalb frühe 1:1 Projekte wie z.B. megazine.ch so wenig erfolgreich waren. Es kommt nicht gut raus, wenn Marketing den IT-Spezialisten überlassen bleibt, auch nicht bei Web-Projekten.
Hingegen muss man sich bewusst sein, welch enorme Möglichkeiten bestehen, dank IT-Einsatz Kundennähe aufzubauen und damit dem Kunden die Convenience und (im guten Sinne) Intimität eines 'Tante Emma Ladens' zu bieten - wohlgemerkt eines 'Tante Emma Ladens' mit tausenden von Mitarbeitern. Die gezeigten, auf Broadvisions 'One-To-One Enterprise'-Architektur aufbauenden Beispiele zukünftiger CS- oder HP-Applikationen demonstrierten dies sehr eindrücklich. Leider sind solche modernen 'Tante Emma Läden' nur für Unternehmungen mit tausenden von Mitarbeitern erschwinglich. Ariel Lüdi von Broadvision Schweiz: "Unsere Zielkunden sind die Top-100. KMU's müssen sich an Portalen anhängen". Wer sich als KMU-Marketingverantwortlicher auf diese neue von den Grossen ausgehende Gefahr einstellt, ist wohl beraten.
1:1 Relations und Loyalty
"Je besser Sie ihr Angebot den spezifischen Bedürfnissen des Kunden anpassen, desto einfacher und angenehmer wird es für ihn bei Ihnen - und desto unangenehmer, das Ganze Ihrem Konkurrenten nochmals zu erzählen. Also bleibt er loyal." Schon Frederick Reichheld hat in seinem 'Loyalty Effect' aufgezeigt, dass die Erhöhung des 'Share of Customer' deutlich lukrativer sein kann als die Akquisition neuer Kunden. Eine Verlängerung der Retention Rate (der Zeit, während der jemand Kunde einer Unternehmung ist) um 10% hat einen erheblich grösseren Effekt auf den Gewinn als eine Marktanteilssteigerung durch 10% Neukunden. Und da 1:1-Marketing auf die MVC (Most Valuable Customers) als individuelle Einzelkunden abzielt, bietet es enorme Gewinnsteigerungs-Potentiale.
Privacy Politik -
Datenschutzüberlegung zum 1:1-Marketing
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Interview mit Don Peppers M+K: Don, Ihr 10-Punkte Programm zur 'Privacy-Politik' widerspiegelt eine Grundhaltung im Umgang mit Personen-Informationen, die man als revolutionär bezeichnen kann. Was meinen Sie genau mit dem Punkt 3 "Verpflichte Dich, wie Kunden-Informationen niemals benutzt werden"? Don Peppers: Wenn es meine Politik ist, Deine Angaben niemals weiterzugeben, so sollte ich dies auch klarmachen. Wenn dem nicht so ist, so darf ich das auch nicht behaupten. Der Kunde hat ein Recht, dies zu wissen. Die meisten Leute kümmern sich nicht um Datenschutz, ausser es passiert etwas für sie Unangenehmes. Solange sie keine Ueberraschungen erleben, ist es ihnen nicht so wichtig. Dabei gibt's einen wichtigen Aspekt: Ich muss dem Kunden erlauben, sein Profil zu verändern, wenn er das will. 1:1-Marketing hört auch bei der Privacy nicht auf: Der einzelne Kunde bestimmt, was mit seinen Daten geschehen darf und ich richte mich danach. M+K: 1:1-Marketing wird von Ihnen als eine Rückkehr zu bewährten Geschäftsprinzipien beschrieben. Nur dass wir heute dank Automatisierung neue Techniken haben, um mit Mass-Customization auf den Kunden einzugehen. (Zu Mass-Customization vgl. z.B. Levi's) Don Peppers: Das ist richtig. Vor der Industrialisierung und Massenproduktion betrieben alle 1:1 Marketing. Mit der Standardisierung der Produkte wurden - sozusagen als Ersatz für die Beziehung mit dem Ladenbesitzer oder Handwerker - Marken gebildet. Doch eine Marke ist nur ein Symbol, keine Beziehung. Und jetzt können wir, dank IT, sowohl die Marke behalten, wie an die Beziehungspflege wieder anknüpfen. Natürlich muss ich mir dabei bewusst sein, dass der Computer auch nur das kann, was wir ihm sagen. Deswegen ist es wichtig, den Web-Einsatz ins klassische Management zu integrieren. Da gibt es vielfach noch irrige Vorstellungen darüber, was Computer können. M+K: Sie beziehen sich gerne auf Frederick Reichheld's Retention Marketing. Reichheld hat gezeigt, dass Loyalty Based Management eine strategische Grundhaltung ist und nicht nur eine taktische Massnahme, als welche das 'Stammkundenmarketing' normalerweise abgehandelt wird. Diese strategische Grundhaltung hört bei den Kunden nicht auf, sie betrifft auch Mitarbeiter, Lieferanten und Kapitalgeber. Ist 1:1-Marketing auf diese Marktbeziehungen anwendbar? Don Peppers: Aber sicher! Ich kenne z.B. die Intranet-Applikationen von Cisco Systems, die hierfür geradezu vorbildlich sind. Der limitierende Faktor aller High-Tech-Unternehmen ist die Frage: Wie können wir geeignete Mitarbeiter zu uns holen und sie auch bei uns behalten? Und nun schauen Sie sich meine vier 1:1-Marketing Programm-Schritte an und sehen Sie, wie einfach diese auf den Umgang mit Mitarbeitern übertragen werden können. Das gilt genauso für den Umgang mit Kapitalgebern und Lieferanten. M+K: Hinter allem 1:1- und Relationship-Marketing steht die Frage nach dem gegenseitigen Vertrauen. Wie halten Sie es mit Lenins "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser"? Don Peppers: Vertrauen ist wirklich die Grundlage jedes Geschäfts. Und Vertrauen wird Schritt um Schritt aufgebaut. Es kann sehr schnell zerstört werden und dann ist es für die Unternehmung ein Desaster. Aber wenn es gelingt, durch beständiges Agieren im Kundeninteresse allmählich Vertrauen zu gewinnen, dann ist das ein gewaltiger Hebel. Für den Kunden ist es nicht angenehm, gleich am Anfang alles über sich sagen zu müssen. Man muss nur jedes Mal ein bisschen mehr Information dazugewinnen. Wir nennen das eine Drip-Irrigation-Strategie: Drip - drip - drip. Jedesmal kommt ein Tröpfchen mehr an Information zusammen. |
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