Das Marketing der Möbelbranche

Aufgemöbelt

Publiziert in Produktion+Print Nr. 6, Juni 1997

Die Konjunkturflaute der letzten Jahre hat der Möbelbranche arg zugesetzt. Hinzu kam ein genereller Strukturwandel, der sich durch die leeren Portemonnaies noch verstärkt hat. Und dennoch: In der Schweiz lässt sich offensichtlich mit Möbeln noch Geld verdienen, wie die grossen Investitionen in neue Centers beweisen. Der Marketing-Test zur sich im Umbruch befindenden Möbelbranche liefert viele Anregungen - auch für die Kommunikationsbranche.

„Das ist so ein Problem mit den Möbeln. Schon nach fünf Jahren sieht die heute topmoderne Polstergruppe veraltet aus. Da hilft eigentlich nur eines: Nehmen Sie Antiquitäten". Zum Glück für die Möbelbranche hat sich diese Weisheit noch nicht zum Allgemeingut gemausert. Denn auch so blickt die Branche auf schrumpfende Umsätze und Margen der letzten Jahre zurück. 1992 wurden in der Schweiz noch vier Milliarden Franken für die häusliche Behaglichkeit ausgegeben, 1996 waren es gerade noch 3.5 Milliarden: Ganz klar eine Krise. Wie meist hat auch diese Krise den ohnehin stattfindenden Strukturwandel beschleunigt und deswegen ist es interessant, die Aktivitäten der Möbelbranche als Ausdruck der Bemühungen zu verstehen, diesem Strukturwandel aktiv zu begegnen. Die Branche möbelt sich auf.

 

Das grosse U

In der Betriebswirtschaftslehre gibt es ein paar „goldene Regeln" wie zum Beispiel die „80:20-er Regel": Mit 20% der Kunden macht man 80% des Umsatzes oder mit 20% der Kosten erreicht man 80% der Problem-Lösung. Eine weitere goldene Regel ist das „Betriebswirtschaftliche U":

Dieses betriebswirtschaftliche U führte dazu, dass einigen Möbelfachgeschäften die Luft wegblieb, um dem Strukturwandel zu begegnen. Sie sind die grossen Verlierer. Die Möbelfachgeschäfte (ohne Möbel Pfister) hielten 1990 noch einen Marktanteil von über 60%, heute sind es gerade noch gute 50%. Oft lag das „Lädelisterben" der Möbelbranche daran, dass das Preisniveau als wichtiges Element zur Positionierung übersehen wurde.

 

Das Kaufverhalten

Das waren noch Zeiten, als man mit Stolz seine 12 Zylinder an der Kreuzung knattern lassen konnte, um dann mit weitherum vernehmlichem Quietschen allen klarzumachen, dass man sicher mehr als 20 Liter auf 100 km verbraucht! Damit ist es, unsere Kinder werden’s uns einmal danken, vorbei. Aber auch in anderen Bereichen ist’s mit dem Imponiergehabe aus Besitzerstolz nicht mehr weit her: Pelze sind out, schöne Uhren werden aus Angst nur noch verdeckt getragen. Tja, was bleibt einem da noch? Das Zuhause! Es gibt wohl kaum einen Bereich, wo sich so unverblümt der Besitzerstolz des Käufers äussern kann wie in einem wohl eingerichteten Zuhause. In den eigenen vier Wänden, da ist ihm kaum eine Grenze gesetzt.

Also richten wir uns schön und behaglich ein, laden unsere Freunde ein und geniessen die bewundernden Blicke angesichts des topmodernen Sofas! Und nun kommt die Geschichte mit den fünf Jahren und den Antiquitäten. Die Zeiten sind unsicher und viele wissen nicht, wie lange sie auf dem technomässig gestylten Sofa sitzenbleiben, auch wenn der Trend längst vorbei ist. Was tut der kluge Schweizer heute? Er kauft im modernen Laden die eher zeitlosen Werte ein. Macht man einen Gang durch ein paar Möbelhäuser so entdeckt man folgendes:

Alle Möbelhäuser kommen in ihrer Werbung derzeit farbiger, jugendlicher, trendiger als früher daher. Verkaufen tun sie aber zumeist günstiger und gerade designmässig wesentlich konservativer, als dies die Werbung erwarten lässt. Vorsicht ist die Mutter der Kleiderkiste... Die Käufer sind vorsichtiger geworden. Darauf hat sich die Möbelbranche eingestellt.

 

Positionieren

In jeder Krise ist die Weide etwas abgegrast. Da erscheint alles jenseits des Zaunes noch begehrenswerter. Es ist nicht nur die Rücksichtnahme auf das veränderte Konsumverhalten, welche die Sortimente breiter werden liess. Es ist auch die beklemmende Angst, einen dringend benötigten Umsatzfranken nicht zu realisieren. Dass man damit in den Köpfen der Kunden die Kompetenz verspielt, merkt man leider erst Jahre später.

Was unterscheidet die grossen starken Unternehmungen von den schwachen? Sie haben Zeit, sie agieren strategisch. Schauen wir uns einmal an, wie drei der fünf Stärksten im Schweizer Möbelmarkt strategisch agieren. (Nummer 1 ist Möbel Pfister, Nummer 2 ist die hier nicht behandelte Migros, an dritter Stelle kommt Ikea und Nummer 4 ist Interio).

 

Möbel Pfister

Es ist rund zehn Jahre her, als Möbel Pfister die Wahrheit „Gut schweizerisch" auf seine Fahnen schrieb. (In dieser Zeit wurde für die mehr Design-orientierte Kundschaft die Tochter „Mobitare" ins Leben gerufen). Die Wahrheit des „Gut schweizerisch" kam nicht an. Dem Marktleader haftete zunehmend ein verstaubtes Image an. Und dem begegnet man jetzt mit einer Neu-Positionierung: „Was ist bloss mit dem guten alten Pfister passiert?" Eine der besten Agenturen (GGK Basel) möbelt das Möbel Pfister Image auf. Und das zeigt sich nicht nur im Katalog und in Prospekten, in Anzeigen und einem gelungenen TV-Spot, sondern auch im elektronischen Möbelkatalog und in der Internet-Website. Ganz klar: In der Möbelbranche ist integrierte Kommunikation klar ein Muss.

Die angestrebte Zielgruppe ist jedoch - einem Marktleader wohl angemessen - immer noch sehr breit. Was tun, wenn man sich nicht dank der ausgewählten Zielgruppe positionieren kann? Eine Aura bilden! Diese Aura, welche sich z.B. im Slogan „Schön, zuhause zu sein" ausdrückt, wird bei Möbel Pfister durch sehr begrüssenswerte Zusatzleistungen genährt: Zum Beispiel durch dokumentiertes umweltgerechtes Verhalten in Produktion und Transport inklusive der Entsorgung der alten Möbel oder sogar deren Aufbereitung. „Möbel Pfister ist in diesem Bereich sicherlich einzigartig. Das Engagement spürt man und wir glauben auch, dass unsere Kunden dies honorieren. Als ich hier anfing, war ich erstaunt darüber, wie selbstverständlich dies alles bei uns ist", erklärt Bettina Wildi, Leiterin Information und Oeffentlichkeitsarbeit bei Möbel Pfister. Daneben sind Convenience-Leistungen wie Zügelservice und Verlegen der Teppiche zu nennen, die die Aura von Möbelpfister stützen. Und natürlich die dazugehörige Wohnberatung in den modernisierten über 100'000 Quadratmetern Ausstellungsfläche.

Die letztgenannten Dienstleistungen bieten auch andere, beim sozial verantwortlichen Engagement steht jedoch Möbel Pfister an vorderster Front. Als Beispiel ist auch die auf Verpflichtungen beruhende Teilnahme bei STEP zu nennen. STEP ist eine Stiftung, die sich für gerechte Bedingungen bei Teppichherstellung und -handel einsetzt. „Ein solches Engagement ist auf Dauer nur möglich, wenn auch die Konsumenten Wert darauf legen", betont Christoph Zysset, Product Manager Oriental Carpets bei Möbel Pfister. „Die Konsumenten möchten sich nicht nur am schönen Teppich erfreuen, sondern sie wollen auch über die Produktionsabläufe informiert sein. STEP wendet sich unter anderem besonders gegen missbräuchliche Kinderarbeit. (Uebrigens ist es ein Märchen, dass Kinderhände die feineren Teppiche knüpfen. Meisterhafte Uhren werden schliesslich auch nicht vom Lehrling zusammengebaut, nur weil der die kleineren Hände hat).

 

Ikea

1958 fing es mit einem ersten Einrichtungshaus in Schweden an, 1973 in der Schweiz: Das Ikea-Zeitalter der Möbelbranche. „Heute ist Ikea weltweit die Nummer 1" sagt Bernard Borgeaud, Marketingleiter Schweiz von Ikea, nicht ohne Stolz. Die Unterschiede zur Konkurrenz haben meist in dieser internationalen Einbettung ihren Grund: Z.B. sind sämtliche 12'000 bis 13'000 Artikel exklusiv „IKEA of Sweden", extra von Ikea designt und von 25 über alle Kontinente verstreuten Trading Offices für die weltweit 134 Möbelhäuser eingekauft.

Als Ikea damit anfing, war das der heisseste Tip für die Distribution von Möbeln: Das Zauberwort hiess „Catalog Showroom". Das Prinzip ist denkbar einfach. Ein Katalog lässt die Kunden gemütlich zuhause Möbel auswählen. (Ikea ist derzeit die einzige der untersuchten Firmen, die einen vollständigen Katalog mit Fixpreisen anbietet. An diesem - natürlich weltweit in hohem Masse identischen - Katalog haben über 120 Mitarbeiter gearbeitet. Für die Fotoaufnahmen besitzt Ikea ein eigenes Fotostudio mit astronomischen 2'600 Quadratmetern Fläche. Allein für die Schweiz könnte sich niemand eine solch aufwendige Produktion leisten). Danach fahren die Kunden zum Show-Room und sehen sich das Ganze vor Ort an. Wenn sie das Möbelstück kaufen wollen, so machen sie eine Bestellung und holen es gleich direkt im Lager ab. Das bringt enorme Vorteile bezüglich benötigter Ausstellungsfläche, und auch für die Logistik wird es viel einfacher. Mittlerweile hat sich dieses System, egal ob für Selbstabholer oder Lieferungs-Bestellung, bei allen Namhaften der Branche durchgesetzt.

Und noch etwas zeichnet die innovativen Schweden aus: Sie haben begriffen und mittels frecher Werbung schon sehr früh umgesetzt, dass Möbel-Einkaufen ein Erlebnis sein muss - fast wie der Kauf eines Autos. Eine grosses, betreutes Kinderparadies und ein Kinderkino machen Ikea nicht allein für die Eltern zum Ausflugsziel. Und in dieser Richtung ist auch die Erweiterung des Sortiments um 120 Family-Boutique-Artikel zu sehen. Sie sind weniger ein Umsatz-Träger als vielmehr eine Betonung des Speziellen von Ikea in den Bereichen Sport, Freizeit, Sicherheit und Reisen - sogar ein Prospekt über Schweden wird aufgelegt. Dass diese Produkte für die Mitglieder von „Ikea family", dem Kundenclub von Ikea, besonders vergünstigt sind, zeigt in die gleiche Richtung.

Ikea ist ein internationales Konzept, das sich offensichtlich auch in der Schweiz durchgesetzt hat. Interessant ist, wo das international identische Sortiment bei uns nicht greift: Bei den Matratzen. Herr und Frau Schweizer schlafen am liebsten auf Rosshaar-Matratzen mit 12 cm Dicke - alles andere hat keinen Stand. Für den Rest hingegen sind wir sehr empfänglich, nachdem er sich vorher in den Testmärkten der grossen Metropolen wie Paris, London oder Stockholm bewährt hat.

 

Interio

Interio wird im Zusammenhang mit einer strategischen Neuorientierung der gesamten Globus Gruppe repositioniert. (Zur Globus Gruppe gehören neben Interio der ABM, die Globus- und Herren-Globus-Geschäfte und Office World. Globus selbst ist vor kurzem aus dem Möbel-Geschäft ausgestiegen). Das machte das Interview mit Thomas Kern, Generaldirektor und Unternehmungsleiter der Interio, besonders interessant. Wenn eine Position von Grund auf analysiert wird, so ist das für einen Marketer immer sehr spannend.

„Wir wissen, dass der Umsatz-Rückgang im letzten Jahr nicht durch weniger Besucher unserer Geschäfte zustande kam, denn die Besucher-Zahl ist konstant geblieben. Sie kam auch nicht daher, dass mehr nur geguckt und weniger gekauft worden wäre - der Anteil der Käufer an der Besucherzahl ist konstant geblieben. Aber wir haben festgestellt, dass der durchschnittliche Kaufbetrag (oft in der Fachsprache auch „Kundenfranken" genannt) um Fr. 7.- kleiner war als im Vorjahr. Das also ist der Wert, den es in Zukunft wieder zu erhöhen gilt", fasst Thomas Kern eines der Analyse-Resultate zusammen.

Solche und viele andere Resultate, wie z.B. dass das Akzeptieren von Kredit- und EC-Karten ein Muss ist, findet man nicht einfach so, sondern durch eine klare Forschungsstrategie. Bei Interio kam das, was man eine multiple Forschungsstrategie nennen kann, zum Einsatz: Neben dem Markt bzw. der Konkurrenz, der eigenen Unternehmung und dem Sortiment wurden besonders auch die Kunden untersucht - und das gleich auf vier verschiedene Arten:

Erfreulicherweise zeigten die Resultate aller vier Untersuchungen in die gleiche Richtung. Und danach wird nun gehandelt: „Nicht von Allem etwas, aber für Einige viel" - diese Leit-Idee von Thomas Kern steht der zukünftigen Entwicklung voran. „Interio wird ausgewählte Sortimentsbereiche zu Kompetenzbereichen ausbauen". Dass es dabei nicht nur darum geht, diese Kompetenzbereiche in Form von Produkten und Dienstleistungen anbieten zu können, sondern sie auch als solche in den Köpfen der Kunden zu verankern, ist klar. Schliesslich geht’s ja um Marketing.

 

Was können Sie tun?

Der Blick auf die Möbelbranche hält ein paar Tips und Anregungen bereit, die auch für die Kommunikationsbranche von hohem Nutzen sein können:

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