Das Marketing der Modebranche im Test

Neukunden sind in Mode

Publiziert in Produktion+Print Nr. 7/8, Juli/August 1997

In den letzten Jahren ging der Modemarkt Schweiz jährlich um mehr als fünf Prozent zurück. Und das nicht nur einmal, sondern jedes Jahr. Der Wettbewerb verstärkte sich zunehmend, und viele sind auf der Strecke geblieben. Die verbliebenen sehen sich nach neuen Kunden um. Wir stellen drei Beispiele zur Diskussion, die auch als Anregung für die Kommunikationsbranche Gültigkeit haben.

Von mag es nicht so aussehen, doch der Modemarkt hat es in sich. Wer darin Erfolg hat, braucht eine „tough working culture". Mode ist ein knallhartes Geschäft, und in den letzten Jahren wurde es noch härter. Der Gesamtmarkt ging seit Anfang der neunziger Jahre drastisch zurück, d.h. die Geschäfte setzten weniger Kleidung zu deutlich schlechteren Preisen ab. Viele Kleine, Mittlere und auch Grosse (Kleider Frey als herausragendstes Beispiel) mussten den Hut nehmen.

Die Verbleibenden stehen vor dem Problem, dass ihre bestehenden Kunden nicht genügend Umsatz und Wertschöpfung generieren. Da geht’s wie bei den Tieren auf der abgegrasten Weide. Das Gras jenseits des Zaunes sieht viel grüner aus, und man nähert sich dem Zaun, der bestehende von neuen Kunden trennt. In der Fachsprache nennt man dies Diversifikation.

 

Diversifikation

Für den Marketing-Guru Philip Kotler ist nur „neue Produkte für neue Märkte" eine eigentliche Diversifikation. Seine „Produkt/Markt-Expansionsmatrix" sieht wie folgt aus:

Gegenwärtige Märkte
Marktpenetration

Produktentwicklung
Neue Märkte
Marktentwicklung

echte Diversifikation
  Gegenwärtige Kunden Neue Kunden

Nun hat es ja mit der Produkt/Markt-Expansion leider so seine Tücken: Meistens klappt sie nicht. Und sie klappt je weniger, je mehr man sich von seiner angestammten Weide - seinen Kunden und Produkten - entfernt. Ich habe deswegen die Erfolgswahrscheinlichkeit in der Grafik durch verschiedene Sattheitsgrade des Rots wiedergegeben. Je satter die Farbe, desto wahrscheinlicher der Erfolg. (Leider kann ich in der Praxis immer wieder feststellen, dass „von der Weide aus" gesehen, gerade die eigentliche Diversifikation als diejenige Strategie mit dem sattesten Grün, dem saftigsten Gras angesehen wird. Meist ist dies ein sehr teurer Irrtum).

 

Mode-Strategien

Produktion+Print hat sich intensiv in der Modebranche umgeschaut. Durchwegs fiel auf: Die Praxis hat soweit Einzug gehalten, dass bei den Grossen der Branche keine echte Diversifikationsstrategie erkennbar ist. Die früher vollzogene Diversifikation wird zwar nicht aufgegeben, z.B. behält nach unserem Wissensstand die Charles Vögele-Gruppe neben ihrem Mode-Häuser- und -Versand-Geschäft die Vögele Reisen, das Liegenschaftsportefeuille und den Kunst- und Antiquitäten-Handel (Galerie Stuker Bern) bei. Immerhin aber scheint sich die Einsicht durchgesetzt zu haben, dass man die „Risiko-Verteilung" (mit der eine echte Diversifikation meist begründet wird), lieber den Investoren überlässt.

Daneben kann man jedoch sowohl die Strategie „Marktpenetration" wie „Produkt-„ und „Marktentwicklung" feststellen. Und weil bei diesen Strategien die Gründe für Gelingen und Scheitern meist im Detail liegen, wollen wir uns sie genauer ansehen.

 

H&M: Produktentwicklung

Hennes & Mauritz, schon gehört? Klar, das sind doch die mit den schönen Frauen auf den Plakaten! H&M hat trotz seinem relativ kleinen Marktanteil einen enormen Bekanntheitsgrad durch seine dezidierte Kommunikationsstrategie aufgebaut: Klarer Schwerpunkt auf Plakaten mit Supermodels in H&M Kleidern. Diese Plakate wurden nach einem einfachen Schema aufgebaut: Vor weissem Hintergrund posiert ein Supermodel in H&M-Kleidern, und die Photos sind so extrem gut gemacht, dass man meint, die Kleider müssten astronomisch teuer sein. Sind sie aber nicht, denn in grossen Buchstaben steht ein bescheidener Franken-Betrag dabei. Dazu noch unten rechts das Logo - und fertig sind die alle in Schweden produzierten Kult-Plakate, welche, besonders wenn sie Unterwäsche zeigten, häufig sogar aus den Schaukästen gestohlen wurden.

„Unser bisheriges Layout wurde so oft kopiert, dass wir davon abgekommen sind", erklärt Gabrielle Nassisi, PR-Verantwortliche am H&M Hauptquartier in Genf zum Wechsel: „Letztes Jahr war fünfzigjähriges Jubiläum und es wurden Zeichnungen wie von damals eingesetzt. Dieses Jahr ist der weisse Hintergrund einem beigen Verlauf gewichen".

Als Marketer weiss ich nicht, ob ich hierzu H&M geraten hätte: Wenn z.B. die Manor-Gruppe mit ihrer „Yes or No"-Kampagne die viel bekanntere H&M-Kampagne kopiert, so ist dies eigentlich nur Wasser auf die Mühlen von H&M, denn der Absender „Yes or No - Manor" wird dann gar nicht mehr wahrgenommen. H&M, die besonders bei den Produkten immer viel Mut an den Tag legen und die Nase vorn haben, wollten auch hier nicht stehen bleiben.

Es sind aber auch nicht mehr nur einzelne Frauen, die auf H&M-Plakaten zu sehen sind, sondern öfters auch Mütter mit Kindern, Männer. Das spiegelt die Marktentwicklung bei H&M wieder. Hennes heisst eigentlich „Für sie (die Frau)" und mit dieser Kundengruppe macht H&M immer noch seinen Hauptumsatz. Daneben baut man seit Jahren weitere Produkte auf - und zwar bei H&M immer eigene Produkte und nicht etwa Fremdmarken. Und weil die Marketing-Profis in Schweden wissen, dass man mit derselben Marke nicht alle bedienen kann, begleiten sie diese Produktentwicklung mit dem Aufbau von neuen Marken.

H&M-Marken

Hennes
Mauritz
Woman
Clothes
L.O.G.G. (Label Of Graded Goods)
BIB (Big is Beautiful)
MAMA
Uptown Classic
Contemporary
Rocky
Impuls
Baby Baby
Childrens Department


für Damen zwischen 25 - 35
für Herren
klassischer Stil für Damen ab 35 Jahren
aktuelle Trends für junge Frauen
Casual Sportswear für Damen, Herren, Kinder
Für Damen mit Grössen bis 52
Für werdende Mütter
Klassischer Herrenstil
Für jüngere, modebewusste Herren
Jeans und Jeanswear für Jugendliche
Trends für junge Frauen
Für Neugeborene
Für Kinder zwischen 1 und 13 Jahren

Ob damit die Marken-Zersplitterung nicht schon ihren Overkill erreicht hat, ist schwer zu sagen. Besonders scheint aber L.O.G.G. sehr gut zu laufen - ganz klar ein Segment, das mit H&M nicht anzusprechen gewesen wäre. Die gleiche Erfahrung machte auch schon Levis, die während Jahrzehnten versuchten, Casual-Kleidung unter dem eigenen Namen zu verkaufen (was nie klappte) und dann mit der neuen Marke „Dockers" einen enormen Erfolg landeten.

 

C&A: Marktentwicklung

Claus und August Brenninkmeijer gründeten 1841 einen kleinen Laden. Daraus hat sich in mehr als hundert Jahren einer der führenden europäischen Modehersteller entwickelt, heute unter der Leitung von Familienmitgliedern der vierten und fünften Generation.

Wer kennt das Motto von C&A in der Schweiz? „C&A zieht alli a!" Wenn man sich auch nur ein bisschen auf Positionierungen versteht, so kann man ab einem solchen Motto - selbst wenn es denn stimmen würde - nur das Grausen kriegen. Mode ist doch immer auch Ausdruck der Person, die sie trägt: Eine zweite Haut. Da hat sicherlich niemand Lust, einer von Allen zu sein. Gut möglich, dass man dies mittlerweile auch in Holland begriffen hat - wir werden sehen.

Was wir aber sicher schon diesen Sommer zu sehen kriegen, ist die Anstrengung von C&A, bei den jugendlichen Käufern wieder Fuss zu fassen: „MTV and C&A: Turned on Europe 2". Die Aktion ist von bestechender Einfachheit: MTV und C&A fordern Jugendliche auf, sich auf selbstgemachten oder mit Hilfe von MTV-Teams produzierten Videotapes darzustellen. Diese Tapes werden von MTV gesendet. Parallel dazu fährt ein Bus durch 40 europäische Städte und interviewt Jugendliche. Auch diese Resultate werden von MTV gesendet. Während bei der ersten Aktion noch allgemeine Themen im Vordergrund standen, so konzentriert man sich diesen Sommer aufs Geschäft: Style und Image.

„Wir geben mit dieser Aktion den Jugendlichen quer durch ganz Europa eine Plattform. Die Sendungen und besonders auch der Bus werden Event-Charakter haben. Z.B. ist vorgesehen, im Bus Getränke abzugeben, Stylistinnen werden die Jugendlichen outfitten, und möglicherweise können wir auch Autogramm-Stunden mit Stars organisieren. Unser Nutzen dabei ist, dass wir damit unsere Glaubwürdigkeit und Kompetenz unter Beweis stellen", erklärt Andreas Rahn, Leiter der C&A Werbeabteilung. Denn C&A hatte festgestellt, dass sie zwar sowohl bei den Kindern wie bei den Erwachsenen hohe Marktanteile aufweisen, bei den Jugendlichen aber klaffte ganz klar ein Lücke.

Mit „Zieht alli a" kann man im enorm schwierigen Jugendmarkt nicht landen. Das war offensichtlich klar. Und so hat man bei C&A die Strategie des Co-Brandings (auch Cross-Promotion genannt) gewählt. Grundsätzlich eine sehr interessante Strategie, sie hat aber wie jede Kooperation ihre Tücken. In der neuesten Inc. (Inc. - The Magazine for growing companies. Amerikanische Zeitschrift für Klein- und Mittelbetriebe), wird das Problem des Co-Brandings über vier Fragen diskutiert, die sich jeder Co-Branding-Partner stellen muss:

Während bei MTV und C&A zumindest für C&A die letzten zwei Fragen klar mit Ja zu beantworten sind (wieviel das Ganze C&A kostet, war nicht zu erfahren), so sieht es bei ersten zwei Fragen eher nach einem Nein aus. C&A und MTV sind kein „natural fit". Es wird enorm viel brauchen, sie in den Köpfen der Jugendlichen zusammenzubringen. Und ob das Ganze für MTV nicht zum Spiel mit dem Feuer wird, hängt im Endeffekt davon ab, wie stark MTV seine eigene, in modischen Belangen grundsätzlich neutrale Position behaupten und durchsetzen kann. Jugendliche reagieren sehr sensibel, wenn „ihre" Informationsmedien von den Grossen vereinnahmt werden. Wir können also auf die Machart und auch auf die Effekte von „Turned on Europe 2" sehr gespannt sein.

 

Bernie’s: Marktpenetration

Bernie’s, eine kleine Modekette mit 17 Filialen, ist gegenüber H&M und C&A, die im Niedrigpreis-Segment anbieten, ein klarer „Hochpreiser". Verkauft werden grundsätzlich die grossen Fremdmarken für Damen, Herren und Jugendliche.

Ich beobachte dieses Highlight der Schweizer Modebranche schon seit Jahren mit Vergnügen. Die Geschäftsleitung überrascht mit immer wieder neuen Ideen, die sich alle durch eine sehr hohe Stilsicherheit auszeichnen. Sogar die Ausverkaufs-Promotion „Nur nichts kaufen ist billiger" kommt erfrischenderweise ohne jeglichen Ladenhüter-Blues aus.

Bernie’s liess sich etwas einfallen, wie man mit den bestehenden Produkten und den bestehenden Kundensegmenten mehr machen kann: „Wir verkaufen schon seit Jahren auch Hochzeits-Kleider. Und da dachten wir uns, dass dies eigentlich ein guter Einstieg als Bernie’s Kunde sein könnte", erklärt Andrea Lehrer, die Geschäfts- und Lebenspartnerin von Bernhard (Bernie) Lehrer. Hochzeitspaare werden speziell angeschrieben, zur Auswahl der Kleider werden sie in speziellen VIP-Räumen empfangen, und beim Kauf erhalten sie eine Perrier-Jouët-Champagner-Packung mit Gläsern.

Die Idee ist in zweierlei Hinsicht gut:

Die Aktion wird sehr gut aufgenommen. Die meisten der in neun von zehn Fällen neuen Hochzeits-Kunden werden zu Bernie’s Stammkunden - und als solche kontinuierlich gepflegt. Diese Stammkundenpflege, auch „Retention-Marketing", also „Kunden-bei-sich-Behaltungs-Marketing" genannt, ist immer noch die rentabelste Strategie.

 

Was können Sie tun?

Nebst einem besseren Einblick und Verständnis des Mode-Marketings lassen sich für Sie die folgenden Tips aus diesem Artikel ableiten:

erster.gif (821 Byte) zweiter.gif (848 Byte) BASE-Marketing Dr. oec. HSG Luzi Rageth, Birmensdorferstrasse 470, 8055 Zürich Home