Ende oder Anfang des Handels?
Die grossen Gewinner im Internet - und überraschenderweise auch in der realen Welt - sind derzeit die Mediators, die Vermittler. Eine neue Form des Handels bzw. des Handelsmarketing, welche auch für Hersteller von Produkten und Dienstleistungen wegweisend ist, ist auf dem Siegeszug. Erstaunlich, denn eigentlich war aufgrund der Internet-"Disintermediation" der Untergang des Handels prophezeit.
Publiziert in Marketing+Kommunikation 05/00, mit Checkpunkten
Seit Dell der Welt grösster PC-Hersteller ist, weiss jeder, dass die "Disintermediation", die Ausschaltung des Zwischenhandels durch den Internet-Direktvertrieb, in vollem Gange ist. Doch wer meint, dass nun alle Importeure, Generalvertretungen, Distributors, Grossisten und Detaillisten bald den Geist aufgeben, der hat sich über die Innovations- und Adaptationskraft des Handels getäuscht.
Wer macht im Internet das Rennen? Und welche Business-Modelle setzen die Gewinner ein? Soweit heute erkennbar, sind es im wesentlichen drei Punkte, welche die Erfolgreichen auszeichnen: Die Orientierung an Experiences (Erlebnissen), die Konzentration auf das Wissen und das exzessive Outsourcing.
Experiences vor Selling
Der Kunde will eine Experience, ein Erlebnis. (Vgl. "How to create a customer" in Marketing+Kommunikation 2/2000). Ein hervorragendes Beispiel für die Umsetzung dieser Grundhaltung ist die Spiele-Sektion von Yahoo.
Spiele bei yahoo.com: Die Kernleistung (die Möglichkeit, jederzeit mit jemandem Schach zu spielen), bringt keinen Ertrag, gewährleistet aber die Experience |
Die Besucher von Yahoo-Games bezahlen nichts für die Kernleistung. Aber sie sind - äusserst zahlreich - gute Werbeadressaten. Und wenn sie dann noch Schachcomputer und -bücher kaufen, umso besser! Den Begriff Experience darf man dabei nicht zu eng fassen. Alles, was Gefühle anspricht wie Profit, Pleasure, Pride und Peace (Gewinn, Vergnügen, Stolz und Sicherheit) kann als positive Experience dienen. Mediators wissen, dass ihre Kunden wegen der Experience zu ihnen kommen.
Wissen ist alles
Warum scheitern so viele Pseudo-"Portale"? Weil echte Portale auf ihrem Wissen aufbauen und das Können und Machen anderen überlassen. Am liebsten überlassen sie es gleich dem Kunden selbst. Ein gutes Beispiel hierfür ist Amazon, die mittlerweile grösste Buchhandlung der Welt. Die Rezensionen zu den dort angebotenen Büchern stammen von den Visitors. Und natürlich wird auch die Information, welche Bücher noch zum Thema passen durch die Visitors bzw. die Käufer geliefert. Amazon ermittelt diese Information mittels Korrelationsanalysen.
Bücher, Buchtips und -besprechungen bei amazon.com: Der Inhalt wird von den Kunden selbst geliefert. |
Amazon weiss, woher man Bücher kriegt, und besonders weiss Amazon, wer sie liest bzw. wie man an jeden einzelnen Leser herankommt. Und Amazon weiss, wie dieses Wissen ständig verfeinert werden kann. Amazon kann sehr gut „zusehen" und „zuhören". Das Wissen wird zunehmend zum Hauptkapital. Mediators pflegen ihr Wissen.
Outsourcing vor (Selber-)Machen
Der Schwerpunkt der Aktivitäten eines Mediators liegt auf dem Generieren und Ausbau von Wissen. "Ich kann nichts, aber ich weiss, wo ich die benötigte Leistung herkriege und an wen ich sie vermitteln kann", könnte das Credo lauten. Viele Pseudo-Portale scheitern daran, dass sie zuviel selber machen wollen.
Schnäppchen bei auktion24.ch: Mit der Geschäftsabwicklung selber nichts zu tun. |
Das Machen wird vollständig an diejenigen abgegeben, die es entweder besser können oder überhaupt tun wollen. Bei Auktion24, dem mittlerweile von ricardo.de übernommenen grössten Internet-Auktionshaus der Schweiz, kann jedermann Produkte und Dienstleistungen anbieten. Die Angaben zum Angebot macht er selber und ohne spezielle Hervorhebung ist der Eintrag gratis. Danach bieten die Visitors und nicht selten kommt aufgrund des Auktions-Fiebers ein sehr anständiger Preis heraus. Die Bezahlung und auch die Logistik werden dann direkt zwischen Anbieter und Käufer abgewickelt. Bei erfolgreichen Portalen geht das Outsourcing jedoch noch viel weiter: Jeder Geschäftsprozess wird nach Möglichkeit geoutsourct. Dies insbesondere deswegen, weil sonst das enorme Wachstum gar nicht verkraftet werden könnte. Mediators sind exzessive Outsourcer.
LetsBuyIt vs. SiberHegner
Im Grunde bleiben dem Handel die drei Auswege aus der Disintermediation-Falle, welche durch die Internet-Mediators selbst genutzt werden:
1. Zusatznutzen aufbauen: Sei dies im Bereich der Experiences worunter auch die persönlichen Beziehungen zu zählen sind, oder im Bereich der Value added Services.
2. Logistik perfektionieren: Ausser gerade bei Software wird meistens eine physische Distribution und Neukonfektion bzw. Anpassung an die lokalen Gegebenheiten benötigt.
3. Marktmacht ausspielen: Im Handel macht man immer noch im Einkauf das Geld, das ist unabhängig davon, ob man eine herkömmliche oder eine Internet-Firma ist.
Kundeneinbindung bei LetsBuyIt: Die Stimme der Kunden gelangt direkt zum Produzenten |
"Wir bündeln Interessen, wie es der Handel bisher nicht konnte – quantitativ wie qualitativ. Dem klassischen Distributor bleibt die Logistik" sagt Andreas Kühne, Geschäftsführer von LetsBuyIt-Schweiz. Wobei er damit die physische Logistik meint, die er natürlich outsourct. Die Informations-Logisitik hingegen baut er selber aus und generiert dabei wertvolles spezifisches Wissen. „LetsBuyIt bietet den Produzenten deswegen auch eine gute Test-Plattform, da die Reaktionen der Kunden ständig ausgewertet werden. Wir bilden die ganze Wertschöpfungskette ab".
Angesichts der sich massiv aufbauenden Marktmacht von LetsBuyIt und anderen Co-Buyer-Sites ist es interessant, bei SiberHegner, nachzufragen, wie sich das traditionsreiche, 135 Jahre alte "Asien Handelshaus" auf die neue Konkurrenz einstellt. "Das Internet ist keineswegs eine Bedrohung für uns, sondern eine enorme Bereicherung. Wir setzen es selber zunehmend ein", stellt Dr. Jörg Wolle, Präsident der Konzernleitung von SiberHegner klar. "Wir wandelten uns schon vor Jahren von Verkäufern hin zu Beratern, zur Vermarktung von Dienstleistungspaketen. Das Internet ist vielmehr eine Gefahr für Einkaufsabteilungen".
Lokale Power bei SiberHegner: Knowledge-Brokering als Vision |
Noch ist die Welt kein Dorf. Yahoo ist in China nicht zugänglich. Und wenn es zugänglich wäre, würde es niemand anwählen, weil auf chinesischen Computern nur kryptische Zeichen zu sehen wären. "Der Unterschied zwischen Internet-Firmen und uns ist, dass wir das Business tiefer verstehen. Wo's komplex wird, ist uns erst richtig wohl. Und unsere Infrastruktur lässt sich sehen: Auch bei uns werden die Endkunden mittels weltumspannender EDV mit den Herstellern verknüpft. Unser Marketing-Wissen, welches wir beständig ausbauen, nutzen wir auch auf beide Seiten, sodass sowohl Hersteller wie Kunden profitieren. So werden wir zunehmend zu Knowledge-Brokern".
Internet ändert alles
Das Beispiel SiberHegner macht klar, dass die Mediator-Eigenschaften nicht nur fürs Internet gelten. Und es zeigt auch auf, dass sich mit dem Internet selbst in einem besteingeführten Traditionshaus alles verändert hat. Das Beispiel steht nicht allein. Auch andere haben - scheinbar losgelöst vom Internet - ihr Business-Modell erfolgreich neu definiert. Wer den Wandel nicht sieht, wird's schwer haben. Wer ihn jedoch proaktiv nutzt, indem er sich überdenkt und neu definiert, dem bieten sich - gerade auch als Nicht-Internetfirma – als Mediator grosse Chancen.
Checkpunkte Mediator-Statements
BASE-Marketing Dr. oec. HSG Luzi Rageth, Birmensdorferstrasse 470, 8055 Zürich Home |