[Budgetierung und Controlling 2008]

Auf hohem Niveau reduzierte Budgets

Luzi Rageth und Franz Wyss*, erschienen in Marketing&Kommunikation 10/2008 (PDF hier downloadbar)

Für 2008 muss - immer noch auf hohem Niveau - mit insgesamt geringeren Marketing-Budgets gerechnet werden. Der Trend weg von den klassischen Medien hin zu den direkten und elektronischen Medien setzt sich weiterhin fort. Der Marketing-Controlling Hype ist am abflauen, bevor er richtig begonnen hat. Und das ist gut so, auch fürs Marketing-Controlling selbst.

Um zu erkunden, wie sich Marketing-Budgets und -Controlling im 2008 entwickeln, befragten wir dieses Jahr die Marketing-Manager der Top 50 Brands der Schweiz per Brief und Mail. Wir erhielten 16 Antworten, was zwar quantitativ gesehen keine grosse Datenbasis darstellt, aber als Indiz für die Entwicklung des nächsten Jahres in diesem Top-Segment genügt.

Budget- und Controlling-Entwicklung

Die Ergebnisse der Umfrage sind aus der folgenden Grafik ersichtlich:

Es wird weiterhin mit Umsatzwachstum gerechnet, wobei die Gewinne überproportional ansteigen werden. Gewinne, die schon heute als sehr hoch angesehen werden. Aber, und das mag erstaunen, man rechnet allgemein (bis auf ein paar Ausnahmen) mit z.T. sogar deutlich niedrigeren Budgets. Die Werbewirtschaft ist gut beraten, sich auf einen rauheren Wind einzustellen.

Für eine klare Aussage, wie sich die Budgets im Detail entwickeln werden, ist die Datenbasis zu schwach. Sicher wird es zu einer Intensivierung des Internet-Einsatzes kommen. Und sicher werden die Zeitschriften weiter an Terrain einbüssen. Im wesentlichen werden auch die Resultate früherer Umfragen bestätigt: Kundenbindung steht an erster Stelle und diese lässt sich mittels Internet (besonders als Directmarketing-Tool) und Events wohl am effizientesten bewerkstelligen. Geht es darum, neue Produkte und Dienstleistungen zu promoten, so eignet sich dafür am besten die Streuwerbung, wobei besonders TV, Plakate und Kino genannt wurden. Die Zeichen für Print (besonders die Fachpresse) stehen also weiterhin schlecht.

Grundsätzlich fühlen sich die Befragten der 50 Top Brands der Schweiz stark im strategischen Controlling, welches die Aktualität und Stimmigkeit der Strategie untersucht. Weniger gut ist man im operativen Controlling der Effektivität (Zielgerichtetheit und Zielerreichung) der Massnahmen. Schon wieder etwas besser empfindet man sein heutiges taktisches Controlling, welches den effizienten Mitteleinsatz steuert. Die Absicht, in Zukunft das Controlling noch zu verstärken, ist vorhanden, wenn auch nicht stark.

 

Marketing-Hauptaufgabe 2008

Die Frage nach der Marketing-Hauptaufgabe des nächsten Jahres zeigte eines klar auf: Leistungspflege ist bei den 50 Top-Brands eher kein Thema.

Sonst verteilten sich die Antworten weiterhin zunehmend auf Kundenbindung und ziemlich gleichmässig auf Kunden-Akquisition sowie Leistungsinnovation (was soviel bedeutet wie neue Produkte und Dienstleistungen entwickeln).

Angebots- vs. Kundenorientierung

Erstaunlich sind die mittels Hauptkomponenten-Analyse visualierten Korrelationen der Antworten:

Die vertikale Achse ist ziemlich klar: Oben stehen die Variablen, welche auf einen positiven Geschäftsgang hindeuten. Gute heutige Rendite, gute zukünftige Gewinne, positive Umsatzentwicklung. Wer das nicht hat, der muss (unten angezeigt) auf Kundenakquisition setzen. Dieses Resultat war zu erwarten.

Die horizontale Achse hingegen zeigt ein eher unerwartetes Resultat: Rechts diejenigen, welche auf Kundenorientierung (in Form von Kundenbindung) sowie ein starkes Controlling setzen und dieses auch auszubauen gedenken. (Eine solche Sicht kam mehrheitlich von den Antwortenden weiblichen Geschlechts). Genau auf der gegenüberliegenden linken Seite sind diejenigen, welche die Leistungsinnovation als Hauptaufgabe genannt haben. Sie planen dafür (im Gegensatz zu den rechts Liegenden) mit höheren Budgets und mehr Streuwerbung. Könnte man also sagen: Links die angebotsorientierten Innovatoren, rechts die kundenorientierten Optimierer? Oder einfacher gefragt: Hemmt Controlling Wagemut und Innovation?

 

Abschwächung des Marketing-Controlling Hypes?

Vor zwei Jahren war Marketing-Controlling plötzlich auf der Agenda. Neue Budgetierungs-Techniken (wie Beyond- und Better-Budgeting) wurden propagiert. Wichtige Kongresse wurden zum Thema abgehalten. Und heute? Professor Sven Reinecke (Universität St. Gallen), der Marketing-Controlling-Experte schlechthin der Schweiz, erkennt auch, dass es heute auf den Chefetagen eine Reduktion des Fokusses auf dieses Themas gibt. Er führt dies jedoch eher auf das wirtschaftliche Umfeld zurück. Solange die Wirtschaft so boomt wie im Herbst 2007, muss Controlling zurückstehen. Aber auch falsch verstandenes Controlling kann ein Grund sein. Zum Beispiel haben Balanced Scorecards, die nur einmal aufgestellt wurden, anstatt kontinuierlich zur Steuerung (der eigentliche Sinn des englischen to control) verwendet zu werden, „das Thema zum Teil verbrannt".

 

In Ketten zum Tanz

Voltaire schrieb einem italienischen Freund, der sich wie die Dichter des „Sturm und Drang" einen Deut um Regeln scherte, „Vous dansez en liberté et nous dansons avec nos chaînes". Und dieses von Nietzsche oft zitierte „in Ketten tanzen" ist im übertragenen Sinn auch das, was die dazu speziell befragten Marketing-Verantwortlichen als optimalen, pragmatischen Umgang mit dem Thema Marketing-Controlling ansehen. Wer sich wie ein Kamikaze auf den Markt stürzen will, der wird Marketing-Controlling als überflüssig erachten und dem Gegensatz von Produktinnovation und Marketing-Controlling zustimmen, wie er in der Hauptkomponenten-Analyse dargestellt wird.

Wer sich jedoch der Stärken und Schwächen des Marketing-Controllings bewusst ist, der wird es wie die Voltaireschen Ketten zur Steigerung seiner Kunst einsetzen. Sehr treffend formuliert es Stefan Haas, Leiter Marketing Schweiz der SBB: „Für mich ist ein professionelles Controlling mithin eine wichtige Grundlage für Innovation. Innovation ist das Ergebnis eines professionellen rationalen Prozesses. In diesen Prozess fliessen nicht zuletzt Erfahrungen, Erfolgstreiber und -faktoren, die beim Controlling ermittelt werden. Gutes Controlling beflügelt die Innovation!"

*Luzi Rageth, Dr. oec. HSG MA und Franz Wyss, Dipl. Verkaufskoordinator und Verkaufsleiter, BASE-Marketing Dr. Rageth, Zürich, sind auf Marketing-Controlling spezialisierte Berater für Strategisches Marketing und Corporate Development

M+K: Herr Professor Reinecke, hemmt Marketings-Controlling Wagemut und Innovation?

Prof. Dr. Sven Reinecke: Keineswegs. Eine wesentliche Aufgabe des Controlling besteht darin, ein Gleichgewicht (!) aus Intuition (Bauch, Wagemut, Innovation) und Reflexion (Business Pläne, Kalkulationen) herzustellen. Daher kann es in "verstaubten" Unternehmen die Aufgabe des Controllings sein, auch die Intuition zu fördern - leider sind allerdings die Controller hierfür meist nicht ausgebildet.

Prof. Dr. Sven Reinecke, Universität St. Gallen, Institut für Marketing und Handel, Leiter Kompetenzzentrum Marketing Performance Management

 

M+K: Herr Haas, was erachten Sie als die Hauptherausforderung bei der Budgetierung fürs 2008?

Stefan Haas: Die Hauptherausforderung für 2008 war die Konzentration auf die effizientesten und effektivsten Kampagnen mit den vorhandenen Mitteln. Dies stellte uns im Jahr der Fussball-Europameisterschaft im eigenen Land vor besondere Challenges. Der Entscheidprozess um Massnahmen und Budget war deshalb hart und intensiv: Ein echter Härtetest für die Vielzahl von spannenden Ideen und Vorschlägen. Wir arbeiten dabei bewusst mit einem Kampagnenportfolio, welches die Kampagnen priorisiert. Wir halten es bei der SBB wie im Sport: Der beste soll gewinnen.

M+K: Herr Haas, hemmt Marketing-Controlling Wagemut und Innovation?

Stefan Haas: Im Gegenteil. Wir lernen durch die Verarbeitung unserer Erfahrungen. Das ist zu einem guten Teil ein rationaler Prozess. Bei der Verarbeitung dieser Erfahrungen spielt bei der SBB das Marketing-Controlling eine wichtige Rolle. Wir sind daran, unser Controlling weiter zu professionalisieren. Eines der Ziele ist dabei ein effektives Innovationsmanagement. Denn bei Innovationen geht es nicht nur um Kreativität. Es ist von entscheidender Bedeutung, Ideen systematisch zu ökonomischen Markterfolgen weiter zu entwickeln. Das Innovationsmanagement soll uns helfen, für unsere Kunden neue nutzbringende Angebote zu erkennen und erfolgreich zu lancieren.

Stefan Haas, Schweizerische Bundesbahnen SBB, Divison Personenverkehr,

Leiter Marketing Schweiz

More:

Für die weitere Vertiefung mit dem Thema Marketing-Budgetierung und -Controlling verweisen wir auf folgende Links.

www.imh.unisg.ch – Das Kompetenzzentrum für Marketing Performance

Management an der Universität St. Gallen unter der Leitung von Prof. Dr. Sven Reinecke

www.beyondbudgeting.com – Der Beyond Budgeting Round Table, dessen Forschungsverantwortliche „Beyond Budgeting" (Schäfer-Poeschel, Stuttgart 2003) schrieben

www.m-k.ch – Marketing-Kommunikation Website mit allen früheren Artikeln zum Thema Marketing-Budgetierung und -Controlling (1/2003, 10/2003, 10/2004, 10/2005, 10/2006)
 

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