Marketing Budgetierung

Science Fiction

Im derzeit schwierigen und instabilen Umfeld zu budgetieren, bringt verschiedene Herausforderungen mit sich. Fast ähnelt die Arbeit der Marketing-Verantwortlichen derjenigen von Science-Fiction-Autoren. Das hat Vor- und Nachteile für ein der Situation angepasstes strategisches, operatives und taktisches Marketing.

(Tips für die Marketing-Budgetierung 2003)

"Plötzlich standen in Polen Kochbücher auf den Bestseller-Listen - und in den Buchhandlungen im Science-Fiction Regal." Die Situation derjenigen, welche ihre Marketing-Budgets fürs Jahr 2003 erstellen, erinnert an diesen etwas zynischen Witz: Wird die Liquidität überhaupt bereitstehen? Wann kommt er denn nun, der Aufschwung? Welche Turbulenzen stehen uns noch bevor?

In einem gewissen Sinne ist also jeder gut beraten, der seine Budgetierungs-Arbeit als einen Science-Fiction Snap-Shot aus heutiger Sicht betrachtet, welcher im kommenden Jahr sehr wohl drastische Aenderungen erfahren kann. Marketing bedeutet nicht einfach Geld ausgeben. Versiertes Marketing stellt verschiedenste strategische, operative und taktische Verhaltensweisen auch fürs schwierige Umfeld bereit.

Normalerweise ist es überhaupt keine Schwierigkeit, Marketing-Verantwortliche von grossen Brands für ein Interview mit Marketing+Kommunikation zu gewinnen. Nicht jedoch beim Thema "Marketing Budgetierung 2003". Viele stecken offenbar den Kopf in den Sand, wollen keinesfalls über die als katastrophal empfundene Situation sprechen. Nicht jedoch die mutigen Marken und ihre RepräsentantInnen (vgl. Box "Best Practices"), welche durch ihren fundierten Input zu diesem Artikel beigetragen haben.

 

Strategisch: Halten und ausbauen

Marketing hat etwas von einer Schaukel (auf schweizerdeutsch "Ritigampfi"): Man muss anschubsen, wenn’s nach vorne geht. Gegen den Markt anzurennen bringt nichts. Nimmt man Tomczaks Marketing-Aufgaben Matrix als Entscheidungsraster (bestehende und neue Kunden vs. bestehende und neue Produkte), so wird klar, dass heute eher die Zeit der Kunden- und der Leistungspflege ist.

Die Leistungspflege kann dazu führen, dass die Leistungserstellung vertikalisiert wird. Vor- und nachgelagerte Stufen werden integriert. Das Leistungsspektrum wird abgerundet. Wer die notwendige Liquidität hat, der kann heute recht günstig vor- und nachgelagerte Produktionsstufen zukaufen und dadurch zu exklusiven, renditeträchtigen Angeboten kommen. Kuoni hat dies z.B. mit dem Aufbau der sehr beliebten Edelweiss Air und ihren exklusiv direktangeflogenen Destinationen bewiesen.

Insgesamt muss die Strategie in schwierigen Zeiten konziser werden: Straffung in den Zielgruppen, Straffung in der angebotenen Leistung und Straffung im angestrebten Image bzw. in der Kommunikation sind das Ziel. ABB macht dies derzeit sehr deutlich vor: Nebst der Divisionalisierung ihrer früher als Matrix-Organisation sehr komplexen und von den Ländergesellschaften beherrschten Konzernstruktur werden auch die Kernbotschaften unter die Lupe genommen. Eine Untersuchung zeigte, dass (nur) 39 Kernbotschaften weltweit existierten; diese werden nun auf 3 reduziert.

 

Operativ: Best Practices fördern

Die strategische Straffung sollte nicht top-down, sondern bottom-up geschehen. Hinter allem steht die Frage: Was funktioniert? Es ist wesentlich erfolgversprechender, um etwas, das funktioniert, eine Strategie zu bauen, als zu einer Strategie etwas zu finden, das möglicherweise funktioniert.

Nehmen wir die Produkte und Dienstleistungen: Was Mövenpick Restaurants macht, kann als Leitfaden gelten. "Möchten Sie einen Salat voraus?" "Darf ich Ihnen auch ein Mineralwasser bringen?" "Nehmen Sie noch Dessert und Kaffee?" Die Analogie zum Restaurant kann in jeder Branche Möglichkeiten zur Abrundung des Leistungsspektrums aufzuzeigen.

Oder nehmen wir die Preise: Auch hier zeigt Mövenpick mit dem "35 Franken Dinner" wie man’s macht. Ein Fixpreis-Angebot, das dem Kunden aber die individuelle Ausgestaltung offenlässt. Der Preis ist in wirtschaftlich schwierigen Zeiten besonders wichtig und man tut gut daran, dem Kunden durch einen klaren Preis die verstärkt geforderte Sicherheit zu geben.

Bei Werbung und Kommunikation tun sich gegenüber früher grösste Unterschiede auf: Directmarketing bei bestehenden Kunden mit konkreten Angeboten ist angesagt. Image-Werbung wird nicht nur bei denjenigen gestrichen, welche sie sich nicht mehr leisten können. Es würde nicht verwundern, wenn die auf Streuwerbung ausgerichtete Kommunikationsbranche nächstes Jahr zweistellige Umsatzeinbussen hinnehmen müsste. Eine Ueberprüfung der Media-Kosten und generell des Media-Buyings lohnt sich.

Auch bei Verkauf und Distribution wird es Veränderungen geben: Die Internet-Auftritte der meisten Firmen sind heute auf einem so guten Stand, dass der Kunde bestens vorinformiert ist. Diesen Ratsionalisierungseffekt ausnützend wird der Verkauf und die Distributionswahl vermehrt auf das Erfassen und Eingehen auf die individuellen Wünsche des Kunden ausgerichtet.

 

Taktisch: Flexibel verstärkt steuern

Leider wird Controlling hierzulande oft mit "kontrollieren" gleichgesetzt. Der eigentliche Sinn aus dem Englischen lautet jedoch vielmehr "steuern". Und gerade eine flexible und genaue Steuerung ist es, was Marketing im nächsten Jahr braucht. ABB macht auch dies exemplarisch vor: Die Kommunikationspläne der wichtigsten Märkte der Gruppe wurden nach vereinheitlichtem Muster erfasst und zudem ihre Prüfung um weiche Faktoren wie z.B. einen Strategie-Check erweitert. Die Kadenz der Ueberprüfung und Nach-Steuerung wurde deutlich erhöht. Kuoni geht dabei noch weiter: Es werden bewusst kurzfristig nutzbare Freiräume eingeplant. Zum Beispiel für Guerilla-Marketing-Massnahmen.

Wenn der Markt rückwärts geht, ist Zurückhaltung angesagt. Aber man muss auch die Chancen nutzen, wenn es wieder vorwärts geht. Da niemand weiss, wann dies genau der Fall sein wird, tut man gut daran, hierzu kurzfristig disponible Mittel und einsetzbare Massnahmen bereitzuhalten. Auch eine solche - gerne ein bisschen an Science-Fiction erinnernde - Eventual-Planung sollte in den Budgets für 2003 enthalten sein. Wer im richtigen Moment den Wiedereinstieg vollzieht, kann der effizientesten Wirkung der eingesetzten Mittel gewiss sein.

 

Best Practices in Marketing Budgetierung 2003

Interview-Partner: Patrick Jung, Controller Corporate Communications

  • Strategische Best Practice: ABB wird zu einer Customer Centric Organisation umgebaut. Dabei wird besonders mit Bezug auf das schwierige Umfeld starkes Gewicht auf den Kundenstamm und den Share of Wallet (den Anteil von ABB an dessen Portemonnaie bzw. Gesamtausgaben) gelegt.
  • Taktische Best Practice: ABB hat das Controlling der Kommunikation neu aufgelegt und um weiche Faktoren erweitert, welche einer Balanced Scorecard (einem ausbalancierten Punktesystem) sehr nahekommen. Das zeitlich intensivierte Controlling umfasst heute nicht nur Fragen nach dem "was für wieviel", sondern auch nach dem "wie".

Interview-Partner: Dr. Doris Larmann, Chief Communications Officer

  • Operative Best Practice: Ein gruppenweiter "Best Practice Exchange" mit einer eigenen Abteilung wurde institutionalisiert. Dieser führt zum Beispiel dazu, dass die in der Schweiz mit Erfolg entwickelten "Zurich Help Points" weltweit eingesetzt werden.
  • Taktische Best Practice: Die Planungs- und Berichterstattungs-Kadenz wurde deutlich erhöht. Der Uebergang zur quartalsweisen Berichterstattung ist nur einer von vielen Vorteilen dieser zeitlich intensivierten Controlling-Massnahmen.

Interview-Partner: Janine Bosshardt, Director Marketing

  • Operative Best Practice: Nach dem Motto "back to the roots" wurden bei Mövenpick Restaurants Preise, Angebot und Verkauf überprüft und der heutigen Situation angepasst. Bottom-up wurde praxisbezogen der Marketing-Mix entsprechend ausgestaltet.
  • Operative Best Practice: Die Chancen im Media Buying wurden erkannt und werden zielgerichtet genutzt. Dabei wird nicht nur der Einkauf gebündelt, sondern es werden auch neue Möglichkeiten genutzt. Ein Beispiel hierfür sind Coupon-Anzeigen in einer Frauenzeitschrift. Die Anzeigen kosten Mövenpick erst dann, wenn eine Leserin den Gutschein "Zwei Frühstück zum Preis von einem" einlöst.

Interview-Partner: Gianni Moccetti. Leiter Marketing Schweiz

  • Strategische Best Practice: Kuoni hat durch seinen frühen Wiedereinstieg in die Streuwerbung von Helvetic Tours im Januar 2002 und von Kuoni Reisen im Februar 02 Leadership bewiesen, welcher vom Markt belohnt wurde. Durch sein versiertes Zusammenspiel der drei Marken "Kuoni", "Helvetic Tours" und "reisen netto.-" kann Kuoni differenziert auf das schnell wechselnde Umfeld reagieren.
  • Operative Best Practice: Die Wichtigkeit der direkten Stammkunden-Ansprache wurde erkannt. Eine neu aufgesetzte Adress-Datenbank, Welche die in 120 Filialen generierten Adressen systematisch abgleicht und updatet wird eingerichtet. Mit diesem Tool kann ein effizientes Direct-Marketing weiterhin sowohl zentral als auch lokal aus den Filialen heraus betrieben werden, ohne dass es für den Kunden lästige Doubletten gibt.

 

Tips für die Marketing-Budgetierung 2003

  • Fangen Sie kontinuierlich mit Marketing-Budgetierung und -Controlling an

Strategisches Marketing

  • Konzentrieren Sie sich vorerst auf die bestehenden Kunden
  • Konzentrieren Sie sich vorerst auf die Optimierung und Abrundung der bestehenden Leistung
  • Halten Sie die Augen auf für mögliche Erweiterungen der Leistungstiefe bzw. eine Vertikalisierung Ihres Angebotes, welche es exklusiv macht
  • Konzentrieren Sie sich auch bezüglich Ihres angestrebten Images auf wenige Kernbotschaften

Operatives Marketing

  • Ueberprüfen Sie bottom-up Ihr Angebot mittels der Frage "Was funktioniert?" Stärken Sie Ihre Winner und eliminieren Sie Ihre Looser im Angebot
  • Trachten Sie danach, durch Ihr Angebot abrundende Zusatz- und Nebenleistungen, Ihren Share of Wallet beim Kunden zu erhöhen
  • Reagieren Sie auf die erhöhte Preissensitivität. Das bestärkte Sicherheits-Empfinden Ihrer Kunden ist dabei oft wichtiger, als eine gefährliche Preissenkung, welche später nur schwer wieder zu korrigieren ist
  • Setzen Sie zur Kommunikation mit Ihren bestehenden Kunden auf direkte Mittel, welche konkrete Angebote beinhalten
  • Ueberprüfen Sie Ihr Media-Buying und evaluieren Sie Bartering-Möglichkeiten (Gegengeschäfte)
  • Aktivieren Sie Ihren Verkauf bzw. Ihre Distributions-Partner dahingehend, dass sie verstärkt auf die Bedürfnisse der Kunden eingehen

Taktisches Marketing

  • Ueberprüfen Sie Ihr Marketing-Controlling hinsichtlich zeitlicher Kadenz und Soft-Factors
  • Bauen Sie einen Strategie-Check in Ihren Marketing-Plan ein, indem Sie auf der Kosten-Tabelle auch Spalten für die verschiedenen strategischen Ziele, Kunden- und Anspruchs-Gruppen (wie z.B. die in schwierigen Zeiten besonders zu berücksichtigenden Mitarbeitenden) einbauen und die Kosten der verschiedenen Marketing-Aktionen darauf umlegen
  • Schaffen Sie sich Freiräume für kurzfristiges Agieren und Reagieren. Machen Sie ein bisschen in Science-Fiction und legen Sie sich auf kreative Weise Eventualpläne und -aktionen bereit, welche Sie bei Bedarf aus der Schublade ziehen können

 

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