Ueber Markenmanagement: Abgedruckt (teilweise) in WerbeWoche Nr. 42, 18. November 1998.
Mit Interview mit Prof. Dr. Torsten Tomczak
Pull, pull, pull!
Modernes Markenmanagement bewirkt gute Zeiten für die Werbung
Das Wissen um den Wert einer guten Marke nimmt zu. Gegenüber dem Handel haben sich Pull-Strategien empirisch bewährt. Der St. Galler Professor Torsten Tomczak lieferte einen Ueberblick über den aktuellen Stand und die absehbare Zukunft des Markenmanagements und zeigte Nachholbedarf besonders bei den Dienstleistungen auf. Insgesamt künden sich für die Werbung gute Zeiten an.
Es gibt viele Marken, doch nur die wenigsten werden gemanagt. Obwohl Marken und Markenmanagement in aller Munde sind. Die Situation erinnert an die fünfziger Jahre, als das erste Mal der Wert einer Marke erkannt wurde. Der Film 'Lover come back' mit Doris Day und Rock Hudson handelt davon. Beide sind Berater in Werbefirmen. Rock's Chef (Tony Randall) setzt das Gerücht über einen riesigen Account in die Welt, den beide haben wollen. Am Schluss werden sogar Spots geschaltet, doch die Sache hat einen Haken: Alle wollen das Produkt, doch dieses gibt's gar nicht.
Werber-Kultfilm aus den späten Fünfzigern, der Anfangszeit des Markenmanagements
Heute ist wieder Markenmanagement angesagt. Sieht man die aktuellen Publikationen durch, so fällt ein grosser Begriffs-Wirrwarr auf. Die unlängst in einem Artikel über die Swissair als Allheilmittel gepriesene Marke ist z.B. nicht mit Corporate Identity zu verwechseln. Auch die Definition "Marke zu sein, heisst, sein - einmaliges - Kernleistungsversprechen sowie seine ethischen Kernwerte zu kennen und durchgängig zu verwirklichen" ändert daran nichts. Insofern war der Zeitpunkt für Torsten Tomczak richtig, Markenmanagement fundiert und empirisch belegt darzustellen:
Funktionen der Marke
Für den Kunden erfüllt die Marke die folgenden Funktionen:
Für den Anbieter hat die Marke die folgenden Vorteile:
Die Aufgaben des Markenmanagements
Tomczak unterscheidet Markenbild und Markenguthaben: "Markenpflege heisst, langfristige Markenguthaben aufzubauen und nicht, kurzfristige Erfolge zu feiern!" Während sich das langfristige Markenguthaben mit Begriffen wie Markensympathie, -vertrauen und -loyalität umschreiben lässt, kann für die Darstellung des kurzfristigen Markenbildes bzw. für die Definition des Markenkerns das 'icon-Markensteuerrad' eingesetzt werden.
Mittels Markenssteuerrad wird die erste Aufgabe des Marken-Managements gelöst, den Markenkern zu definieren.
Die zweite Aufgabe ist, das Markensystem zu definieren. Dabei werden Fragen beantwortet nach dem Umfang der Marke (Welche Angebote soll die Marke abdecken?), nach der Wiedererkennung (Welche Markenelemente sollen für das Produktprogramm gleich sein?) und nach der Differenzierung (Wie sollen die Angebote zu unterscheiden sein?).
Im neuen Markenmanagement kommt als dritte Aufgabe hinzu, die Stossrichtung der Markenentwicklung zu definieren. Hierbei wird erstens die Dynamik der Marke festgelegt: Wie soll die Marke im Spannungsfeld zwischen Kontinuität und Aktualität profiliert werden? Zweitens werden die Brand- bzw. Line-Extensions festgelegt: In welchem Zeitraum sollen neue Leistungen unter der Marke eingeführt werden? Und als letztes werden die erwünschten Wechselwirkungen festgelegt: Welche Rückwirkungen sind von neuen Leistungen auf den Markenkern und das Markensystem zu erwarten?
Gerade der letzte Punkt ist top-aktuell. Mittels Line-Extensions sollen nicht nur zusätzliche Märkte erschlossen werden, sondern sie dienen im Rückkopplungsprozess auch der Stärkung der Stammarke. Cardinal hat genau dies unlängst mit 'Cardinal Draft - join the club' gefolgt von 'Cardinal - join the party' beabsichtigt.
Line-Extension einmal andersrum: Die Extension dient der Stammarke
Aktualisierung und Positionierung
Fehlt einer Marke die Aktualität, gehört sie nicht zu den wahrgenommenen Alternativen. Veraltete Marken werden nicht mehr gekauft. Deswegen muss die Marke Gespräch bleiben.
Der BrandAsset Valuator von Y&R als Tool zur Messung der Marken-Vitalität bzw. -Aktualität
Die Positionierung einer Marke zielt auf den Aufbau eines aus Kundensicht einzigartigen und unverwechselbaren Markenimages zur Präferenzbildung bei den Konsumenten. Dies kann über Preis- oder Leistungsvorteile (in der Qualität, im Erlebnis, in der Convenience, etc.) geschehen, welche entsprechend kommuniziert werden müssen.
Dynamisches Markenmanagement
Das dynamische Markenmanagement betrifft den geplanten und aktiv auch für die Stammarke eingesetzten Markenerweiterungsprozess. Dabei sind die verschiedensten Spielformen des Transfers zwischen Dach-, Familien- und Produkte-Marken möglich. Neben den Chancen der Uebertragung positiver Imagekomponenten von der Stammarke auf das Erweiterungsprodukt sprach Tomczak auch die Risiken an:
Hinzu kommt natürlich die im Interview angesprochene Gefahr des negativen Rücktransfers vom Erweiterungsprodukt auf die Stammarke.
Handelsorientiertes Markenmanagement
Die Macht des Handels nimmt ständig zu. Nur wenige Marken haben eine gesicherte Position in den Regalen. Hersteller haben im handelsorientierten Markenmanagement drei Erfolgsfaktoren zu beachten:
Aeusserst interessantes Resultat einer kürzlich durchgeführten Studie ist, dass für den Erfolg eines Produktes im Handel zu 66% die Pull-Anreize verantwortlich sind. Zu 19% ist es die Kooperations-Kompetenz und nur zu 3% sind es Push-Anreize. Push-Anreize dürfen demzufolge nur ganz gezielt und temporär eingesetzt werden, da sie die effektiveren Pull-Budgets reduzieren. Nach Tomczak hat im Handel langfristig nur derjenige Erfolg, der klare Pull-Elemente in seine Strategie eingebaut hat.
Markenmanagement für Dienstleistungen
Das Markenmanagement für Dienstleistung ist nach Tomczak noch unterentwickelt. Zudem sprach er die folgenden Problemfelder an:
Gerade für Dienstleistungen hat das moderne Markenmanagement erst begonnen.
Für die Werbebranche sind Tomczaks Ausführungen in vierfacher Hinsicht relevant:
Interview mit Professor Tomczak
Wo sehen Sie die grossen Herausforderungen im heutigen Markenmanagement, wo liegen die Unterschiede gegenüber früher?
Tomczak: Den Unterschied zu früher sehe ich heute darin, dass man das Dilemma auflösen muss zwischen der von jeder Marke benötigten Kontinuität auf der einen Seite und der ebenso benötigten Aktualität auf der anderen Seite.
Dieses Dilemma stellt sich heute viel stärker als früher. Das ist zurückzuführen auf
Es besteht die alte Herausforderung, eine Marke kontinuierlich zu führen. Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist die, dass man mit dem Wandel umgehen muss. Und dies wird nur möglich sein, wenn man die Marke - in einem gewissen Ausmass zumindest - dynamisch weiterentwickelt.
Das von Ihnen vorgestellte icon-Marken-Steuerrad zur Definition des Markenkerns stellt ein strategisches 'Top-down'-Tool dar. Wie integrieren Sie in Ihren Ansatz 'Bottom-up'-Elemente?
Tomczak: Im Marketing haben wir's immer mit einem Wechselspiel zu tun. Ich glaube nicht daran, dass man sozusagen am Schreibtisch eine 'top-down'-Strategie entwirft und diese dann sequentiell umsetzt. Vielmehr haben wir es mit einem iterativen Spiel zu tun. Zum einen gehen wir hin und suchen mit einer 'botton-up'-Sichtweise, wo wir in einem Instrument (Produkt, Preis, Promotion, Plazierung) einen Vorteil haben. Zum anderen müssen wir uns danach fragen, wie wir diesen Vorteil in eine 'top-down'-Strategie bzw. ein Gesamtkonzept einbinden können. Langfristig wird nur derjenige Erfolg haben, der dieses Wechselspiel beherrscht. Wer nur versucht, immer wieder die taktischen Chancen zu nutzen, wird sich verzetteln.
Es gilt jedoch zu bedenken, dass so ein Vorgehen nach dem Motto 'Zuerst die Taktik und dann die Strategie' unter der Annahme geschieht, man befände sich 'auf der grünen Wiese'. Diese Situation ist selten. Wenn ich schon im Markt drin bin, dann muss ich mich von Anfang an auch mit strategischen Fragestellungen beschäftigen, denn ich habe ja schon eine Position.
Zudem gibt es gegenüber dieser auf einer spezifischen Kompetenz aufbauenden Herangehensweise auch das ganz klassische Vorgehen: Ich erkenne im Markt eine Lücke und versuche diese zu schliessen. Magnum-Eis ist ein Beispiel hierfür. Man wusste, dass es in der Altersgruppe der 28- bis 40-jährigen einen rückläufigen Konsum von Eis am Stiel gibt, trotzdem diese gerne Eis essen. Um diesem Bedürfnis zu entsprechen, wurde das erfolgreiche Magnum entwickelt.
Line-Extensions können sehr erfolgreich sein, sie bergen aber auch grosse Gefahren. Was ist bei Line-Extensions zu beachten?
Tomczak: Früher wurden Line-Extensions gemacht, um mehr Gewinn aus einer Marke zu schlagen. Heute werden Line-Extensions eingesetzt, um durch den Markenerweiterungsprozess eine positive Rückkopplung des Goodwill-Transfers vom Erweiterungsprodukt auf die Stammarke zu erzielen. Damit dies gelingt, muss die Stammarke überhaupt erweiterbar sein. Das ist sie nur, wenn sie auf einen Nutzen und nicht auf ein Produkt ausgerichtet ist.
Nehmen wir das erfolgreichste Beispiel für Line-Extensions: Nivea. Nivea hat es schon früh verstanden, nicht für 'Creme' zu stehen, sondern für 'Pflege'. Nur dadurch wurde der Erfolg für die Erweiterungsprodukte Sonnencreme, milk-Lotion, Schaum- und Duschbad, After Shave Balsam, Gesichtsreinigung und -creme und Deo möglich. Die aufgezählten Erweiterungsprodukte sind übrigens allesamt Marktführer in Deutschland.
Nivea hat es nicht nur verstanden, den Nutzen in den Vordergrund zu stellen. Es wurde auch streng darauf geachtet, dass sich die Zone der Markenausdehnung innerhalb der erlaubten Grenzen bewegt. Es gibt eine 'verbotene Zone' für Markenausdehnungen. Diese gilt es immer zu beachten. Hinzu kommt, dass es kein Erfolgs-Gefälle zwischen Stammarke und Erweiterungsprodukt geben darf. Ist das Erweiterungsprodukt ein Flop, bewirkt auch das eine Rückkopplung auf die Stammarke, allerdings eine unerwünschte.
Ihre Untersuchung zum Handelsmarketing kam zum Ergebnis, dass gegenüber dem Handel die Pull-Anreize (d.h. die Kunden verlangen nach einer starken Marke) für den Erfolg ausschlaggebend sind. Welche Strategie steht einem Hersteller offen, wenn er nicht über Millionen-Budgets verfügt?
Tomczak: Nach meiner Einschätzung gibt es zwei Wege: Der Produzent konzentriert sich auf die Nische. Das erlaubt ihm, in dieser Nische eine relativ hohe Präsenz zu haben. Nennen wird das einmal "Profilierung durch Fokussierung". Dafür gibt's in den Märkten viele Beispiele, wo gerade kleine Anbieter sich durchgesetzt haben - Fisherman's Friend, Red Bull oder Ricola zum Beispiel. Der andere Weg ist, dass ein KMU-Unternehmer die Situation akzeptiert, seine Rolle anders definiert und sich sagt: "Ich bin Zulieferer des Handels und nicht mehr Markenartikel-Produzent". Das wird aber nur funktionieren, wenn er in einem bestimmten Feld wirklich einzigartige Kompetenzen und Ressourcen aufzubauen imstande ist, z.B. also technologisch führend und nur schwer oder gar nicht zu kopieren ist.
Ihrer Ansicht nach ist das Markenmanagement für Dienstleistungen unterentwickelt. Woran liegt das?
Tomczak: Im Bereich "Markenmanagement für Dienstleistungen" gibt es natürlich auch Ausnahmen, die das vorbildlich machen. Avis wäre an dieser Stelle zu nennen oder die Swissair. Im Vergleich zur Markenartikel-Industrie besteht jedoch für Dienstleistungen generell noch Nachholbedarf. Eines der Hauptprobleme dabei ist eine immer wieder feststellbare Ignoranz bezüglich Marken-Management auf der Top-Management-Ebene. Die Ressource 'Marke' wird einfach falsch eingeschätzt. Das ist zum Teil historisch gewachsen. Sie finden in vielen Chefetagen von Dienstleistungsunternehmen keinen professionell ausgebildeten und ebenso agierenden Marken-Manager. Zudem ist es relativ neu, dass Dienstleistungen als Marke aufgebaut werden. Das ist auch ein schwieriges Feld: Wir haben kein hartes Produkt, an das wir die Marke 'kleben' können. Wir können die Marke z.B. nicht am Produkt visualisieren. Zudem hängt die Qualität einer Dienstleistung von der Kundenbeteiligung im Zeitablauf ab. Die Bedürfnisse des Kunden wandeln sich aber im Zeitablauf. Sucht man dann nach einem gemeinsamen Nenner, so wird es zwangsläufig sehr allgemein. Und allgemein ist das Gegenteil von fokussiert. So kommt es, dass z.B. alle Banken und Versicherungen im selben Feld arbeiten. Alle sagen: "Uns kannst Du vertrauen". Keiner hat den Mut, den Schritt zu wagen, sich auf spezifische Aspekte zu fokussieren.
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