Ueber Distribution und Logistik von Zeitungs- und Zeitschriften-Verlagen
Just-in-trouble
Publiziert in Produktion+Print Nr. 9, September 1996
Der siebte Marketing-Test untersucht Distribution und Logistik, worunter auch der Fahrzeugpark zu zählen ist. Interessante Interviews mit Verantwortlichen von Zeitungs- und Zeitschriften-Verlagen brachten auch in andere Branchen übertragbare Erkenntnisse darüber, wie bei diesen Unternehmen die Problematik der Warenverteilung gelöst wird. Insbesondere für den Fahrzeugpark gilt, was man auch bei allen Marketing-Taktiken feststellt: Tut man's richtig, so hat man dafür auch bei den Kunden "einen Stein im Brett".
In Zürich kennt ihn jeder, den Speich, den SSPPEEIICCHH. Und warum ist diese Druckerei in der ganzen Stadt bekannt? Wegen ihrer enorm auffälligen Fahrzeuge natürlich. Man sieht sie überall. Besonders nun auch die sympathischen Elektromobile. Wieviele Fahrzeuge hat Speich eigentlich? "30?", "eher 50!" Niemand weiss es wirklich genau, doch jeder kennt die SSPPEEIICCHH-Fahrzeuge...
Anfangs des zweiten Weltkrieges stand es noch nicht so toll um unsere Panzerbestände. Trotzdem meldeten deutsche Beobachter, dass ein Einfall in die Schweiz von Basel her wohl ziemlichen motorisierten Widerstand erwarten lasse. Wie kam diese Falschmeldung zustande? Die Erklärung ist recht einfach: Da, wo man wusste, dass die Beobachter hinschauten, liess man - wohl fast den ganzen Bestand - als Panzerkolonne langsam vorbeifahren. Hinter einem Hügel wurde dann massiv Tempo gemacht, sodass der erste Panzer gerade noch rechtzeitig kam, um die Fortsetzung der Kolonne hinter dem letzten zu bilden. Es waren immer die gleichen, doch den Deutschen schien es so, als wären's immer wieder neue.
Der Fahrzeugpark...
SSPPEEIICCHH hat - die neu dazugekauften Elektrofahrzeuge miteingerechnet - gerade 17 Fahrzeuge. Nun lässt er diese, um den Trick aus dem zweiten Weltkrieg anzuwenden, natürlich nicht wie wild durch die Stadt Zürich rasen, damit der Eindruck zustandekommt, es seien viel mehr. Was die Präsenz der Speich-Fahrzeuge in unseren Köpfen bewirkt, ist unsere Wahrnehmung. Wieviele Fahrzeuge sehen wir auf dem Weg zur Arbeit? 50, 100 oder 500? Wieviele wir sehen, spielt gar keine Rolle. Aber wieviele und welche nehmen wir wirklich wahr? Auf jeden Fall nehmen wir die Speich-Fahrzeuge wahr. Denn die fallen auf.
Schon früher, im Artikel über die Eigenwerbung von Werbeagenturen, kam die AIDA-Formel der optimalen Werbewirkung zur Sprache. (AIDA = attention/Aufmerksamkeit, interest/Interesse, desire/Drang, action/Aktion). Wenn der deutsche Beobachter über die Grenze spähte, so war der Unterschied zwischen Sehen und Wahrnehmen sehr klein. In unserem Alltag hingegen ist er sehr gross. Deswegen müssen Fahrzeuge, sollen sie denn auch wahrgenommen werden, auffällig gestaltet sein.
... anschreiben oder nicht?
Der 1.-Lehrjahrs Stift fährt mit dem 3.-Lehrjahrs Stift auf Versand-Tour und lernt, dass man mit Betriebsfahrzeugen "huntern" muss, das gehört sich so. In einem Brief eines meiner Kunden an seine Belegschaft wurde diesbezüglich von "Verschleiss-Orgien" gesprochen. Die Abnützung der Fahrzeuge ist da aber nur die eine Seite des Problems.
Als ich einmal ein Praktikum bei einem Getränke-Hersteller machte, musste ich auch die Reklamationen beantworten. Eines Tages kam ein Brief herein, der eine wahre Horror-Story schilderte. Der Absender war auf dem San Bernardino unterwegs und überholt kurz vor einem Tunnel einen 28-Tonnen-Lastwagen des Getränke-Herstellers. Dies passte nun dem Lastwagen-Fahrer überhaupt nicht, worauf er die ganze San Bernardino Südstrecke mit aufgeblendetem Licht, stetigem Hupen in den Tunnels und maximal zwei Metern Abstand hinter dem PKW herfuhr. Sie können sich denken, dass der Fahrer des PKW's wohl nie wieder eine Flasche des Getränke-Herstellers zur Hand nimmt... Und ich durfte einen verständigen Antwort-Brief auf die Reklamation schreiben, was mir angesichts des Tatbestandes relativ schwer fiel.
Es gibt verschiedene Gründe, warum ein Fahrzeug nicht angeschrieben sein soll. Ich selber tendiere jedoch klar dahin, dass die damit verschenkte Werbewirkung zu gross ist, als dass man das Problem auf diese Weise lösen sollte. Wenn Sie sich überlegen, dass eine B12-Plakatstelle (das sind die grossen breitformatigen Plakate) an bester Stadtlage während eines Monats rund Fr. 1'000.- kostet, so ist die Fahrzeugbeschriftung immer noch ein sehr günstiges Werbemittel. Dass Ihre Fahrzeuge im Verkehr nicht unangenehm auffallen, müssen Sie auf andere Weise in den Griff kriegen.
... selber fahren oder nicht?
Die befragten Verlage wickeln ihren Vertrieb ausschliesslich über Outsourcing-Partner ab. Die hängt mit der speziellen Auslieferungs-Problematik von Zeitungs-Verlagen zusammen. Die Zeitungen werden ausschliesslich in der Nacht an die z.T. mehr als 10'000 Distributions-Stellen ausgeliefert. Die Outsourcing-Partner können so die Fahrzeuge während des Tages für andere Bedürfnisse einsetzen. Zudem sind die Mitarbeiter der Outsourcing-Partner nicht dem Druck-GAV unterstellt, was neben kleineren Administrations-Overheadkosten laut dem Verantwortlichen für die Verlagslogistik bei Ringier, Walter Lütolf, auch lohnseitig eindeutige Kostenvorteile mit sich bringt.
In der Nacht ist auch die Anschrift der Fahrzeuge von geringerer Bedeutung, denn dann sind ja bekanntlich alle Fahrzeuge grau. Trotzdem verwenden alle Zeitungs-Verlage für die temporäre Anschrift der Fahrzeuge bedruckte Magnet-Platten. Durch genaue Kennzeichnung kann mit mehr Goodwill in den Innenstädten bei der Auslieferung gerechnet werden.
Die Frage, ob eigene oder fremde Fahrzeuge eingesetzt werden, stellt sich auch bei den Mitarbeiter-Fahrzeugen, besonders für den Aussendienst. Während früher vielmehr Betriebs-eigene Fahrzeuge eingesetzt wurden, wird heute laut Gilbert Hirzel, Betriebsleiter Verlagslogistik bei der TA-Media AG, vielmehr der Mitarbeiter angehalten, ein Fahrzeug zu kaufen oder zu leasen. Der entsprechende Betrag wird ihm als Spesen vergütet. Ich habe jetzt gerade einen Kunden, der ein Cabriolet abstossen will, dessen Leasing noch ein Jahr läuft. Einen Käufer zu finden, der sowohl an dem speziellen Fahrzeug wie am Leasing-Vertrag Gefallen findet, ist fast unmöglich. Dies lässt sich damit umgehen, dass das Fahrzeug von anfang an auf den Mitarbeiter zugelassen wird.
... Fahrer geschult?
Auch wenn die Fahrzeuge outgesourct werden, ist doch in den meisten Fällen eine spezifische Schulung der Fahrer unumgänglich. Bei der TA-Media existiert ein Pflichtenheft mit Richtlinien, die jedem Fahrer bekannt sind. Diese Richtlinien betreffen nicht nur das technische Handling von Fahrzeug und Auslieferungsstelle, sondern auch das ökologische und ökonomische Verhalten im Verkehr. Auf Probefahrten mit dem neuen Fahrer werden sie zudem im Sinne eines Training-on-the-job direkt umgesetzt.
Die Wahl der Transport-Mittel
Das Fahrzeug, insbesondere die durch die Verlage meist eingesetzten Nutzfahrzeuge mit 1'650 - 1'750 kg Nutzlast, ist heute sowohl das schnellste, flexibelste und sicherste Vertriebsmittel. Und es ist auch (noch) das günstigste. Post und Bahn sind teurer und zeitlich weniger flexibel. Z.B. müssen Zeitungen ins Tessin mit dem Fahrzeug abgeliefert werden, da wegen dem Leistungsabbau bei PTT und Bahn die Züge zu spät abfahren. Die Jean Frey AG setzt als einzige für die Abo-Feinverteilung ihrer Wochen-, Zwei-Wochen- und Monats-Zeitschriften die Post ein, welche dank knallhartem Preis-Marketing hier sinnvoll ist. Wo's aber täglich schnell und kostengünstig gehen muss, ist dieser Weg leider nicht möglich.
Für mich war erstaunlich, dass kein Verlag eine verteilte Produktion aufweist, was bei genügend grosser Menge und den heutigen Uebertragungsgeschwindigkeiten der elektronischen Verbindungen insbesondere für nationale Zeitungen sicher möglich wäre. Hierfür ist die Schweiz offensichtlich noch zu klein. Laut Martin Bircher, Leiter der Vertriebs-AVOR bei Jean Frey, ist es bei einzelnen Zeitschriften sogar so, dass diese zwar verteilt gedruckt, jedoch an zentraler Stelle zusammengestellt bzw. ausgerüstet werden. Inwiefern kostentreibende ökologische Massnahmen und Auflagen hier zu einer Aenderung führen, wird sich noch zeigen. Auf jeden Fall kündigen sie sich schon heute an und sind im voraus genau im Auge zu behalten.
Die Vernetzung mit dem Gesamt-Marketing
In meinem Praktikum beim Getränke-Hersteller lernte ich, dass rund 40% der Abverkaufs-Preise für Getränke auf die Distributions-Kosten zurückzuführen sind. Das ist immerhin der grösste Kostenblock. Gerade heute werden wir ja von Bieren und Mineralwassern aus der ganzen Welt überschwemmt. Oekologisch und im Hinblick auf die Transport-Kosten ist das der bare Unsinn. Trotzdem scheint sich das Geschäft für die jeweiligen Exporteure zu lohnen. Und das kann es nur, wenn die Distribution von anfang an mit dem Gesamt-Marketing vernetzt bzw. in dessen Ueberlegungen einbezogen wurde.
Die gerade zurückliegende Olympiade stellte die Verlage vor neue Aufgaben. Neben den institutionalisierten Sitzungen zwischen den Redaktionen, den Verlagen und Druckereien war für verschiedene Spezial-Titel die Bildung von Task-Forces unumgänglich. Oft wurde die gewünschte just-in-time-Anlieferung dadurch zu einem just-in-trouble-Management mit sehr engen Handlungsspielräumen. Der "Poker" um zeitliche und kostenmässige Abwägungen muss sehr spannend gewesen sein. Auf jeden Fall war es bei allen drei Verlagen sehr wichtig, dass die Distribution von Anfang an in die Ueberlegungen einbezogen wurde und ihre Stimme auch das nötige Gewicht hatte, was natürlich ein Marketing-Denken seitens der Vertriebsleitung voraussetzte.
Was können Sie tun?
BASE-Marketing Dr. oec. HSG Luzi Rageth, Birmensdorferstrasse 470, 8055 Zürich Home |