Ueber Kundenpflege

Tanz mit dem Kunden

Publiziert in Produktion+Print Nr. 6, Juni 1996

Der sechste Marketing-Test untersucht die Kunden-Pflege im Bereich von DTP-Shops und grafischen Ateliers. Einerseits gibt es, analog einem Tanz-Wettbewerb, eine "Pflicht". Das sind diejenigen Punkte, deren Auslassung unter "verpasste Chancen" abgebucht werden muss. Andererseits gibt es eine "Kür", bei der sich die ganze Individualität einer Unternehmung und ihrer Mitarbeiter zeigen kann und muss. Die Interview-Partner zeigten eine grösstmögliche Vielfalt in ihrem Kür-Teil auf. Und das ist auch richtig so. Trotzdem lassen sich ein paar allgemeine Tips ableiten. Der wichtigste ist: Kunden pflegen, nie aufgeben!

"Gerade habe ich meinen Adress-Stamm durchgebürstet. Alle, mit denen seit drei Jahren nichts lief, habe ich rausgeschossen. Ueber 300 waren's. Das spart mir beim nächsten Versand sicher Fr. 500.-." So erzählte es jemand meinem Freund Matthias und war stolz auf sich. Und was antwortete Matthias? "Du bist ein Trottel!" Und es ist gut möglich, dass er recht hat. Matthias arbeitet im Beratungs-Business. Er ist Headhunter, vermittelt Kaderstellen, seit wohl 10 Jahren. Seine Erfahrung ist die: "Die meisten Geschäftsbeziehungen kommen nicht zustande oder werden abgebrochen, weil jemand vorzeitig aufgegeben hat. Bei mir gibt es Kunden, die habe ich fünf Jahre lang ohne jedes Echo immer wieder mit Information bestückt. Und plötzlich kam ein Auftrag. Bezugnehmend auf einen Aussand, der auch schon wieder zwei Jahre zurücklag. Ich gebe nie auf, deswegen geht es mir heute so gut".

Ich habe mir Matthias' Rat dick hinter die Ohren geschrieben. Nur: Wie kann ich verhindern, dass ich "ein Leben für die Post" führe? Wenn ich jeden effektiven und potentiellen Kunden sozusagen eine Ewigkeit lang immer wieder mit Information beliefern muss, wie kann ich meine Kosten im vernünftigen Rahmen halten? Die Antwort ist eigentlich klar: Indem ich weiss, wer denn meine effektiven und potentiellen Kunden sind. Ich meine: Die richtigen. Man müsste eine Marketing-Strategie haben, welche die Zielkunden definiert. Doch davon soll in einem späteren Artikel gesprochen werden. Denn in diesem Artikel hier geht es, wie in der ganzen 10-er Serie "Marketing im Test", um Taktik. Also um die Frage: Wenn ich Marketing als das definiere, was alles betrifft, das der Kunde von der Unternehmung mitkriegt. Wie gestalte ich dieses "alles" optimal? Heute geht es um Kundenkontakt. Also: Wie kann ich den Kundenkontakt effizient und kostenwirksam ausgestalten? Dieser Frage wurde mittels Interviews mit zwölf ausgesuchten DTP-Shops und grafischen Ateliers nachgegangen. Dabei machte ich gleich die erste erstaunliche Erfahrung: Von den beabsichtigten zwölf telefonischen Interviews kamen nur gerade sieben zustande. (Diesen sieben sei hier herzlich gedankt, ich werde im Laufe des Artikels auf sie zurückkommen). Ueber Kunden-Pflege wird offensichtlich nicht gern gesprochen. Das ist geheim. Da hat jeder so seine Art, seine Eigenheit. Das ist nichts für die Oeffentlichkeit. Warum? Die Antwort lässt sich weiter unten aus den Gründen für das Nicht-Nachfassen nach Offertstellung ersehen.

 

Die Pflicht

Den Kunden pflegen hat etwas von einem Tanz-Wettbewerb. Es gibt einen Pflicht-Teil und einen Kür-Teil. Der Pflicht-Teil ist derjenige, dessen Unterlassung direkt zu Umsatz-Einbussen führt. Hierzu zählen die Kontaktpunkte im Rahmen einer Auftragsabwicklung wie z.B. das Offert-Sondierungsgespräch, das Nachfassen nach Offertstellung, die Feedback-Einholung bei oder nach Lieferung sowie die After-Sales-Massnahmen. Die Kür umfasst dann die frei zu wählenden Möglichkeiten, wo unternehmungs-, mitarbeiter- und kundenspezifisch aus einem Strauss von Möglichkeiten die passende Kombination gewählt werden muss.

 

Offert-Sondierungsgespräch

Das Offertwesen wurde im letzten Produktion+Print eingehend besprochen. Es hat sich herausgestellt, dass in der Schweiz sozusagen keine Offert-Sondierungsgespräche geführt werden. Und das ist schlichtweg schade. Nochmals muss klar gesagt werden, dass ein Offert-Sondierungsgespräch von höchster Wichtigkeit ist. Nicht nur kann da durch ein Pauschal-Angebot auf den Offertaufwand verzichtet werden, sondern man hat auch - aus aktuellstem Anlass - die Möglichkeit, seine Firma optimal darzustellen.

 

Nachfassen nach Offerte

Stellen Sie sich einmal vor: Auch ein absoluter Standard-Auftrag verschlingt für das Erstellen der Offerte doch mindestens eine Stunde. Und diese Stunde haben Sie für den Kunden gearbeitet. Also ist er Ihnen auch eine faire Auskunft schuldig. Wer nicht nachfasst, ist selber schuld. Herr Herzog (Herzog Filmsatz AG, Binningen BL) war sich sicher, dass Nachfassen eigentlich nur bei den interessanten Aufträgen Sinn macht. Warum werden die anderen dann überhaupt offeriert? Herr Ettlin (Atelier Ettlin, Forch) fasst nur nach, wo schon bei der Offert-Anfrage ein Datum fixiert wurde. Sonst lässt er's, denn er will nicht den Eindruck erwecken, dass es seiner Firma schlecht geht. Und dies scheint mir der Punkt zu sein, weshalb in der Schweiz lieber nicht über Kundenpflege gesprochen wird: Wenn wir uns an einen Kunden wenden, so im geschäftlichen Bereich doch (hoffentlich) immer auch, weil daraus irgendeinmal ein Auftrag entstehen soll. Wir leben ja schliesslich von den Aufträgen. Die Zeiten sind vorbei, wo man sagen konnte: "Wir sind ja hier. Der Kunde soll kommen, wenn er etwas von uns will." Und wenn man bei einer Offerte richtig nachfasst, so muss der Kunde nicht automatisch denken "Der hat's wohl wirklich nötig", sondern vielmehr: "Dem ist an mir als Kunden gelegen, mein Auftrag interessiert ihn wirklich".

Im Business-to-Business-Verkehr ist das Sicherheitsgefühl des Kunden von enormer Wichtigkeit: Was denken Sie, steigert dieses Sicherheitsgefühl mehr? Doch sicher, wenn der Kunde sich umsorgt fühlt. Und denken Sie daran: Sie haben schon für ihn gearbeitet. Es ist nichts als fair, wenn er Ihnen Feedback gibt.

Im ersten Punkt ist aber Herr Ettlin voll auf dem richtigen Pfad: Man muss bei der Offert-Sondierung den Nachfass-Termin nageln. "Wann denken Sie, wird über den Auftrag entschieden?" - so einfach geht das. Und dann kann man getrost noch drei Tage warten, bis man nach diesem Termin nachfasst. Clever hat es die Firma Digivision eingerichtet: Frau Cecilia schilderte ihr Offert-EDV-System, wo bei der Offerte auch gleich der Nachfass-Termin eingesetzt werden muss. Als Reminder ist dies sicher eine wertvolle Gedanken-Stütze und man wird später auch automatisch darauf aufmerksam gemacht. Ueberhaupt empfiehlt sich ein Kunden-Tracking wo neben dem Adressstamm auch die Kundenkontakte vermerkt werden. Es gibt sehr versierte Programme, die dann auch gleich helfen, Werbebriefe sortiert nach Sie und Du sowie dem individuellen Ansprechpartner zu erstellen.

Frau Schmid (A-Z Fotosatz, Luzern) muss bei Offerten nie nachfassen. Warum? Weil sie sich als Ein-Frau-Betrieb mit ihren Kunden in einem so engen Beziehungsnetz befindet, dass es denen gar nicht in den Sinn kommt, sich nicht selber zu melden, wenn etwas mit einer Offerte nicht stimmt. So müsste es eigentlich sein. Denn sonst kommt man zu schnell in die defensive Haltung, "dass es sowieso schon zu spät ist, wenn man nachfassen muss" (Herr Rosen, Rosen Werbe AG, Zürich).

Das Nachfassen nach Offert-Stellung stellt zweifelsohne einen äusserst wichtigen Pflicht-Teil der Kundenpflege dar. Zusammenfassend ist folgendes festzuhalten: Wenn man nicht in der glücklichen Lage ist, dass man überhaupt nicht nachfassen muss, so ist jede Offerte, die man erstellt hat, und zu der man nicht nachgefasst hat, verschwendete Zeit.

 

Feedback bei Lieferung / After-Sales-Massnahmen

Der letzte Punkt in der "Pflicht" betrifft die Feedback-Einholung bei oder direkt nach der Lieferung sowie die After-Sales-Massnahmen. Besonders, wenn beim Auftrag alles gut geklappt hat, ist die Ablieferung sowie die Betreuung nach dem Verkauf ein guter Anknüpfungspunkt zur Kunden-Pflege. Warum nicht die Gunst der Stunde nutzen? "Wir sind Ihnen dankbar, dass wir diesen Auftrag für Sie ausführen durften, denn wir konnten zeigen, wie leistungsfähig wir sind. Dies würden wir gerne auch weiter für Sie unter Beweis stellen. Sehen Sie schon irgend etwas, wo wir wieder für Sie tätig werden können?" Und der nächste Auftrag ist so gut wie geritzt...

 

Die Kür

In der Kür der Kundenpflege kann man seine ganze Individualität zum Ausdruck bringen, wie ein richtiger Tänzer. Voraussetzung ist natürlich, dass seine Individualität kennt. Doch auch dies ist eine Frage der Marketing-Strategie, welche hier nicht behandelt werden kann. Wir müssen also davon ausgehen, dass Sie wissen, bevor Sie sich Ihre Kür-Teile aus dem Strauss der Möglichkeiten herauspicken, was Ihre Individualität ausmacht, welches Ihre spezifischen Stärken im Vergleich zur Konkurrenz sind.

In der Textbox zur Kür der Kundenpflege ist eine Auswahl von Möglichkeiten aufgelistet. Nehmen Sie sich nicht vor, alles zu tun, sondern picken Sie sich die Möglichkeiten heraus, die am besten zu Ihnen und Ihrer Firma passen, so wie Herr Salchli (Busag Grafic AG, Niederwangen) es treffend umschrieb: "Wenn man's gerne macht, so hat man auch Erfolg. Was zählt ist Ehrlichkeit". Kundenpflege bedeutet Kundenkontakt. Und das über lange Zeit hinaus. Da merkt der Kunde sehr schnell, wenn man's nicht gerne macht. Was bei der einen Firma passt, kann für die andere Firma vollends falsch sein. Das grafische Atelier, welches sich auf Schnelligkeit spezialisiert hat, sollte vielleicht besser nicht dreistündige Mittagessen mit dem Kunden bevorzugen. Die Desktop-Firma, welche besonders günstig anbietet, sollte ihr Kundenfest besser nicht im Grand-Hotel abhalten. Man muss wählen, auswählen. Und was man wählt, das zählt.

Ich möchte im folgenden kurz wiedergeben, was meine sieben Interview-Partner als ihre Wahl wiedergeben haben:

Sie sehen: Sieben Betriebe, sieben Herangehensweisen. Die Unterschiede sind enorm. Und trotzdem hat jeder auf seine Art Erfolg. Kundenpflege ist individuell wie die Menschen, die dahinterstehen. Man kann jedoch seine Kundenpflege verbessern, wenn man sich an die folgenden Punkte hält:

 

Was können Sie tun?

1. Betreiben Sie Choreographie in der Kundenpflege. Ueberlegen Sie sich anfangs Jahr, welche Aktionen zu Ihnen passen, nehmen Sie sich dafür Zeit und planen sie diese soweit möglich. Choreographie hat viel mit zeitlicher Abstimmung zu tun. Wenn Sie in guten wie in schlechten Zeiten Ihre Kunden gleich aufmerksam pflegen, so kommt auch niemand auf die Idee, dass es Ihnen besonders schlecht gehen müsse, wenn Sie sich um ihn bemühen.

2. Probieren Sie nicht den Spagat, wenn Sie nicht in Form sind. Beispielsweise beim Business-Lunch: Gehen Sie mit Ihrem Kunden in das Lokal, wo es Ihnen wohl ist. Und nicht dahin, wo Sie meinen, Sie können ihn besonders beeindrucken. Machen Sie das, was Sie gerne machen. Das gute Gefühl, das Sie dabei haben, wird sich übertragen. Die Zeit der fremden Federn an Tanzkostümen ist vorbei.

3. Stellen Sie sich auf sehr, sehr, sehr lange Stücke ein. Geben Sie nie auf. Ueberlegen Sie sich, mit wem Sie "tanzen" mögen, welchen Kunden Sie notfalls auch fünf Jahre und länger "vergebens" pflegen mögen. Und wenn Sie dann aufgestanden sind, so bleiben Sie auf der Tanzfläche. Bleiben Sie dran.

 

Die Pflicht der Kundenpflege:

• bei der Offert-Sondierung

• beim Nachfassen nach Offertstellung

• bei oder kurz nach der Auslieferung

• bei der Betreuung nach dem Verkauf (After-Sales)

 

Die Kür der Kundenpflege:

• allgemeines Beziehungsnetz

• freies Treffen beim Kunden

• freies Treffen in der eigenen Firma

• Geschenke, selber vorbeigebracht

• Kunden-Arbeitsplatz in der Firma

• Kunden-Fest in der Firma

• Kunden-Schulung beim Kunden

• Kunden-Schulung in der eigenen Firma

• Kunden-Umfrage laufend

• Kunden-Umfrage periodisch

• Messebesuch beim Kunden

• Messebesuch mit eigenem Stand

• spezieller Anlass der eigenen Firma

• spezieller Anlass des Kunden

• spontaner Anruf "Lange nichts mehr von Ihnen gehört"

• spontaner Brief / Fax

• Tag der offenen Tür

• Sport- und Geschäfts-Vereine / Business-Clubs

• Workshop zusammen mit dem Kunden

• Zusendung eigener Fach-Artikel

• Zusendung fremder Fach-Artikel

 

erster.gif (821 Byte) zweiter.gif (848 Byte) BASE-Marketing Dr. oec. HSG Luzi Rageth, Birmensdorferstrasse 470, 8055 Zürich Home