Internet-Auftritte von Firmen

Publiziert in NZZ (Orbit Beilage) Nr. 234, 8. Oktober 1996

Stellen Sie sich vor, tausende von Firmen sind im Internet, und...

...keiner sieht hin!

Worauf beim Internet-Auftritt einer Unternehmung zu achten ist.

Mit über 8'000 registrierten Domains haben sich im internationalen Vergleich überdurchschnittlich viele Schweizer Unternehmungen für einen Internet-Auftritt entschieden und diesen zum Teil schon realisiert. Der Feed-back aus dem Netz ist jedoch für die meisten enttäuschend. Die grundlegende Funktion des aktuellsten, interessantesten und am meisten expandierenden Marketing-Mittels "Internet" wurde verkannt. Der Notwendigkeit seiner Einbindung ins Gesamt-Marketing wurde zuwenig Beachtung geschenkt.

Kaum ein Tag, da nicht in einer Tageszeitung über das Internet berichtet wird. Ständig steigende Teilnehmer-Zahlen. Stetig wachsende Zahlen von Internet-Anbietern. Und unterproportional wachsende Hit-Raten! (Die Hit-Rate gibt an, wie oft ein Dokument im Netz angefragt wurde.) Das Internet wird heute viel selektiver eingesetzt. Noch vor Monaten war es eine Spielwiese von flinken Gestaltern und sich vergnügenden "Surfern". Heute findet es zunehmend seine Rolle in der gezielten Kommunikation von Organisationen und besonders auch wirtschaftlichen Unternehmungen.

 

Drei Fragen vor dem ersten Byte im Netz

Oft wird die erste Version eines Firmen-Internet-Auftritts überstürzt und entsprechend wenig durchdacht an die Hand genommen. Man will einfach "drauf" sein, will seine eigene Domain, seine "http://www.Meine-Firma.ch"-Adresse auf Prospekten und Inseraten publizieren und auf der Visitenkarte seine E-Mail-Adresse "Felix-Muster@Meine-Firma.ch" gedruckt sehen. Die meisten solcher Internet-Abenteuer weisen die folgenden Nachteile auf: Erstens werden sie allesamt wesentlich teuerer als ursprünglich angenommen. Zweitens liefern sie in der Mehrzahl der Fälle nicht den Erfolg, den man sich davon versprochen hat. Und drittens ist man aufgrund der schlechten Erfahrung kaum gewillt, weiter ins Internet zu investieren. Die ursprüngliche Lösung wird, da sie nicht aktualisiert wird, zunehmend zur "Cyber-Altlast".

Solche Nachteile lassen sich verhindern, wenn man - und zwar aus einer Gesamt-Marketing-Sicht - die folgenden drei Fragen vorgängig klärt:

1. Welche Inhalte sind netztauglich?

2. Wie sind die Internet-Aktivitäten organisatorisch einzubinden?

3. Wie kann die Motiviation zur Mitarbeit der zuständigen Stellen von Anfang an sichergestellt werden?

Im Grunde sind dies sehr einfache Fragen. Ihre nun folgende Vertiefung wird jedoch klar machen, warum die bisher auf dem Netz vertretenen Firmen wahrscheinlich zu mehr als 80% von ihrem Internet-Feedback enttäuscht sind.

 

Welche Inhalte?

Das Internet ist kein Werbe-Medium! Wer meint, es genüge, einfach den Katalog bzw. die Firmenbroschüre abzukupfern und sie dann noch mit einem "Coupon", einer Mail- oder Antwortformular-Funktion, zu versehen, der täuscht sich grundlegend über die Konsum-Situation des Net-Surfers. Der Net-Surfer (männlich, zwischen 15 und 50 Jahre alt, höhere Bildung und - sofern berufstätig - auch höheren Einkommens) muss, um auf eine Web-Site zu gelangen, verschiedenes getan haben. Er braucht einen PC, ein Modem, eine Telefonleitung, Browser-Software und einen Internet-Zugang ("Dial-up"). Wenn er im Netz surfen will, so entstehen für ihn variable Kosten für die Telefonverbindung und für den Netz-Zugang. Und besonders: Er muss aus irgend einem Grund eine spezifische Site aktiv anklicken. Gegenüber klassischer Werbung, insbesondere Streu-Werbung, muss ein hohes Mass an Eigen-Aktivität des Surfers vorausgegangen sein, damit er sich Internet-Auftritte von bestimmten Firmen ansieht. Jeder Firma, die auf dem Netz publizieren will, sei deswegen geraten: Geben Sie ihm durch Aktualität und Interaktivität Ihrer Site hierzu einen Grund!

 

Interaktive Inhalte!

Welcher Net-Surfer kennt es nicht, das traurig leere Gefühl, wenn man eine Stunde gesurft hat und dabei weniger Input erhalten hat als bei fünf Minuten Lesen der Tageszeitung? Oft sind die Netz-Inhalte rein statisch, sie werden dem Netz-Benutzer einfach vorgesetzt, und das auch noch (aufgrund der technischen Begebenheiten) langsam und in optisch minderer Qualität - die Tageszeitung oder Wochenzeitschrift ist da in jedem Fall besser. Was aber diese Medien nicht bieten und was den eigentlichen Reiz des Net-Surfens ausmacht, ist die Interaktivität: Eine Anfrage an die Site und innerhalb von maximal 30 Sekunden eine auf künstlicher Intelligenz beruhende konkrete Antwort. Als Beispiel könnte die folgende Frage übers Netz laufen: "Ich bin alimentenpflichtig, ohne feste Stelle, mit Privat-Krediten in der Höhe eines halben Jahres-Einkommens verschuldet und vorbestraft. Wie hoch sind die Zinsen für einen Konsumkredit über Fr. 30'000?" Antwort: "Ihre Situation lässt eine weitere Kredit-Vergabe leider nicht zu. Wir empfehlen Ihnen, Ihre Situation mit einer städtischen Beratungsstelle zu besprechen. Tel. ...".

Das Beispiel ist etwas krass, zudem geht es nicht auf die immer noch mangelnde Vertraulichkeit der übers Netz gesandten Informationen ein, und trotzdem: Warum eigentlich nicht? Dadurch, dass die ersten rund zehn Minuten eines Verkaufsgesprächs durchs Internet bewerkstelligt werden, lassen sich einerseits organisatorische Einsparungen wie z.B. die Entlastung des Telefondienstes erzielen. Andererseits kommen die Kunden besser informiert auf die Unternehmung zu. Auch dies ist ein eindeutiger Gewinn.

Interaktive Inhalte sind ein Muss. Es lohnt sich, hier von Anfang an die Weichen richtig zu stellen. Qualität vor Masse wird im Netz sehr geschätzt. Synonym zum interaktiven Inhalt kann man auch von Funktionalität sprechen. Und hierin unterscheidet sich das Internet von jedem anderen Medium. In den meisten Unternehmungen sind Computer-Applikationen (z.B. Flugpläne bei Luftfahrtgesellschaften, Standort-Tracking bei Zustell-Diensten oder Lager-Abfragen bei Grosshändlern und Produktions-Firmen) in der "realen" Welt schon installiert. Diese auch aufs Netz zu bringen ist zwar etwas aufwendig. Die Hit-Raten belohnen solche Anstrengungen jedoch sehr schnell. Man kann sagen, dass die Funktionalität über die Akzeptanz eines Internet-Auftritts entscheidet.

 

Aktuelle Inhalte!

Plaziert man eine Meldung im Netz, so ist sie ab diesem Moment auch weltweit abrufbar. Das Internet kann als das schnellste Publikations-Organ bezeichnet werden. Auszüge aus dem Wall-Street-Journal sind z.B. schon vor Erscheinen der gedruckten Zeitung auf dem Netz abrufbar. Das Internet hat sehr viel mehr mit einer stets aktuell zu haltenden Kunden- bzw. Bezugsgruppen-Zeitschrift zu tun, als mit einem Prospekt. Und genauso, wie auch bei einer erst über längere Zeit ihre Wirkung entfaltenden Firmen-Publikation der Informations-Nachschub zu organisieren ist, braucht auch das Internet aktuelle stets wechselnde News. Erst wenn der Net-Surfer sieht, dass er auf einer Site immer wieder neue Informationen zu ihn interessierenden Themen erhält, fügt er die Adresse in seine "Bookmarks", seine stehende Liste der immer wieder anzuwählenden Sites, ein. Deswegen sind auf dem Netz nur aktuelle und stets wechselnde Inhalte in knapper Form zu publizieren.

 

Welche organisatorische Einbindung?

Die organisatorische Einbindung des Internet-Auftrittes betrifft einerseits die Ebene der Personen, andererseits diejenige der EDV. Beides wird häufig vernachlässigt und so kommt es, dass zwar mit viel Aufwand und Getöse die erste Version einer Web-Site auf dem Netz eingerichtet wird, jedoch die Weiterentwicklung und auch der ökonomisch richtige Einsatz nicht funktionieren.

 

Motivation und klare Delegation

Oft ist es so, dass die Internet-Produktion anfänglich gänzlich von der Produktion herkömmlicher Unternehmungs-Kommunikation losgelöst ist. Dies führt dazu, dass sich die mit dem Internet-Auftritt Beauftragten in mühsahmer Kleinarbeit die fürs Netz taugliche Information beschaffen müssen. Diejenigen, die in der "realen Welt" die Information aufbereiten, sind wenig motiviert, das Internet auch noch zu bedienen.

Eine funktionierende Internet-Site muss den Informations-Input organisatorisch da ansiedeln, wo er auch in der realen Welt schon besteht: Z.B. bei der Werbeagentur, der Pressestelle, der PR-Agentur, beim Verkaufs-Sekretariat oder der Assistenz der Geschäftsleitung. Nur so ist auch der Informations-Nachschub gesichert. Denn wer nicht motiviert und durch Aufgaben-Delegation eingebunden ist, hat wenig Grund, seine aktuellen Informationen an die Internet-Produktion weiterzugeben.

Die Grafik "Organisation" zeigt auf, wie die Organisation für eine komplexere Site aufzubauen ist.

• Erstens braucht es eine gesamt-verantwortliche Stelle, welche auch inhouse genügend Macht hat, die Mitarbeit der Input-Stellen zu sichern.

• Zweitens ist der Input an die schon in der realen Welt damit beauftragten Stellen zu delegieren.

• Drittens ist eine zentrale Datenaufbereitungsstelle zur Verfügung zu stellen, da die Input-Stellen über sehr unterschiedliche und meist nur sehr rudimentäre Kenntnisse in der Produktion von Web-Seiten verfügen. Es empfiehlt sich, aus persönlichen wie technischen Kapazitäts- und auch aus organisations-kulturellen Gründen mit der Datenaufbereitung nicht die Internet-Firma zu betrauen. Vielmehr eignen sich diejenigen Stellen (z.B. Druckvorstufe oder Desktop-Abteilung), welche auch schon in der "realen" Welt die Daten aufbereiten.

• Viertens ist eine Internet-Firma beizuziehen, welche die Programmierung des Servers sowie die Connectivity bereitstellt. Bei der Auswahl dieser Firma ist besonders auf folgende Fähigkeiten zu achten:

- Plattform-übergreifende Kenntnisse (besonders Windows NT und Unix).

- Dynamische Programmierung der Seiten aus Datenbanken heraus. Dies bedeutet, dass der Internet-Benutzer durch seine Anfrage erst die Erstellung der von ihm abgefragten Web-Seite auslöst. (Nur so lässt sich eine Web-Site mit vertretbarem Aufwand aktuell halten. Der Aufwand zur Aktualisierung und Erweiterung statisch produzierter Web-Sites steigt exponentiell mit der Menge der bereitgestellten Information).

- Ausgewiesene Referenzobjekte mit zufriedenen Kunden. (Gerade die Verlässlichkeit und auch die Einhaltung der "Spielregeln" sind Probleme, die unbedingt vor Projekt-Beginn geklärt sein müssen. Die Zeit der "Wir machen alles"-Internetfirmen, welche zu oft den Kunden "hängen" lassen, ist vorbei).

• Fünftens empfiehlt sich aufgrund der doch erheblichen zeitlichen Belastung (besonders für die Initialisierung-Phase, d.h. die erste Aufschaltung der Site) der Beizug eines externen Beraters / Projekt-Coachs im Sinne eines temporären Outsourcing.

 

Die EDV-Anbindung

Anfragen und Adressen, die übers Netz kommen, müssen (nach vorgängiger Prüfung!) mit geringem Aufwand in bestehende EDV-Lösungen importiert werden können. Gerade deswegen sind plattform-übergreifende Kenntnisse des Internet-Lieferanten notwendig. Die EDV-Anbindung muss zudem so gelöst werden, dass die spätere Entwicklung möglichst weitgehend antizipiert wird. Auch wenn eine Firma heute noch kein Intranet und keine Zugriffe auf ihre Datenbanken vorsieht, darf dies doch in Zukunft nicht verbaut sein.

Gerade für die EDV-Anbindung gilt, was sich auch für die organisatorische Einbindung sowie für die Frage nach den Inhalten feststellen lässt: Das Internet bzw. der Internet-Auftritt ist nicht eine neue Welt, sondern muss mit der bestehenden „realen" Welt an jedem nur möglichen Punkt verknüpft werden. Nur so kann es zum integrierten Bestandteil eines Gesamt-Marketings werden.

 

Wie motivieren?

Internet ist in aller Munde. Zudem kann davon ausgegangen werden, dass rund 10% der Bevölkerung heute Zugang zum Netz haben und diesen auch nutzen. Das Wachstum des Mediums ist weiterhin ungebremst. Sowohl die Anzahl der Netz-Benutzer wie auch der Netz-Informationen-Anbieter scheint darauf hinzudeuten, dass es zur Mitarbeit bei etwas so modernem wie dem Internet keine zusätzliche Motivation braucht. Weit gefehlt! Tatsache ist, dass erhebliche Berührungsängste bestehen. Zudem wird das Internet einerseits als Bedrohung und andererseits als unnötiger Zusatzaufwand angesehen.

Damit dies nicht so bleibt, ist die Motivation sämtlicher Beteiligter durch die Einbindung in den Entwicklungs- und Entscheidungsprozess unerlässlich. Wenn die mit dem Input betrauten Personen nicht auch schon bei der Entwicklung und Initialisierung der Site gefragt wurden und sich einbringen konnten, so ist es später fast unmöglich, sie für eine Mitarbeit zu gewinnen. Und davon wird der Erfolg jeder Site abhängen. Deswegen sind die in diesem Artikel behandelten Fragen je einzeln wie auch in ihrem Zusammenspiel vor dem ersten Byte im Netz zu klären. Das lohnt sich.

 

erster.gif (821 Byte) zweiter.gif (848 Byte) BASE-Marketing Dr. oec. HSG Luzi Rageth, Birmensdorferstrasse 470, 8055 Zürich Home