Ueber Gebäude- und Innenraumgestaltung
Teuer!?
Publiziert in Produktion+Print Nr. 7/8, Juli/August 1996
Der sechste Marketing-Test untersucht das wohl teuerste
"Marketing-Instrument" schlechthin: Die Gebäude. Während sich im
Konsumgüter-Bereich schon längst etabliert hat, dass die Verkaufsräume mit dem
Gesamtmarketing harmonieren müssen, wird dies im Business-to-Business-Bereich noch oft
vernachlässigt. Es gibt Fälle, da fehlt es wirklich an der geeigneten Architektur, die
zu ändern sehr sehr teuer wird. Leider mangelt es noch viel öfter an der Liebe zum
Detail und an der organisatorischen Festlegung, wer sich darum zu kümmern hat.
"Marketing betrifft alles, was der Kunde (und die
gesamte Umwelt) von der Unternehmung mitkriegt": Unter diesem Motto wurde die
Artikel-Serie "Marketing im Test" konzipiert. Sie versucht, die Kontakte der
Unternehmung mit dem Kunden möglichst analog einem Ablauf darzustellen, wie er in der
Praxis auch stattfinden könnte. Nach dem Telefondienst, der Werbung, dem Verkauf und
schliesslich einer Offerte stellt sich der von uns angenommene Kunde ungefähr folgende
Fragen: "Das sieht ja alles sehr gut aus, aber sitze ich da nicht einem schönen
Schein auf?". "Wie kann ich sicher sein, dass die auch halten, was sie
versprechen?" Sie erinnern sich: Im Business-to-Business-Bereich will der Kunde
erstens ein den Qualitätsansprüchen genügendes Produkt (worunter nicht nur die
eigentliche Produkte-Qualität, sondern auch die Lieferzuverlässigkeit und anderes zu
zählen ist). Zweitens will er es zu einem konkurrenzfähigen Preis. Und drittens müssen
ganz besonders auch die folgenden Punkte erfüllt sein: "Einfach, schnell,
sicher". Und gerade die Vermittlung von Sicherheit ist heikel.
Stellen Sie sich einmal vor, sie fahren mit dem Auto über
die Autobahn und überlegen sich: "Wenn da vorne ein Auffahrunfall ist und ich
schaffe es nicht mehr, rechtzeitig zu bremsen, wird mich mein Auto schützen?" Sie
können ja nun nicht einfach in die nächste Leitplanke fahren, um die Gewissheit zu
erlangen. Also müssen Sie sich nach Indizien für die Sicherheit Ihres Wagens umsehen.
Scheppert etwas am Auto? Hat der Wagenhimmel Zigaretten-Löcher? Ist der Lack noch frisch
und unzerkratzt? Sehen Sie irgendwo Rost? Das sind alles Indizien, welche im Grunde
genommen keine sind. Der Schutz des Wageninnern hängt sicher nicht mit Kratzern aussen
zusammen. Und trotzdem fühlen Sie sich in einem sauberen, gepflegten Wagen automatisch
sicherer.
Erst wenn sich ein Kunde auf einen neuen Lieferanten
umgestellt hat, wird er die Sicherheit haben, dass es die richtige Wahl war. Und dann sind
schon viele Arbeitsstunden und viel Geld eingesetzt. Also ist es dann zu spät. Deswegen
will sich der Kunde vorher absichern und sieht sich die Unternehmung genau an. Corporate
Identity - die Identität der Unternehmung - darum geht es hier. Ist das immer die gleiche
Unternehmung, mit der ich es zu tun habe, wenn ich mit ihr telefoniere, wenn sie mir
Werbung schickt, wenn der Aussendienstmitarbeiter bei mir vorspricht, wenn ich eine
Offerte erhalte? Und wird es noch dieselbe sein, wenn sie mir liefert und wenn einmal
etwas schiefgeht und eine schnelle, kulante Reaktion gefordert ist?
Der Lieferanten-Besuch
Was sich in der Maschinen-Industrie schon längst als
fester Punkt in der Lieferanten-Beurteilung etabliert hat, geschieht in der Druckindustrie
noch selten systematisch: Der Lieferantenbesuch - und zwar das erste Mal angemeldet und
ein paar Tage danach "per Zufall". Es ist wie beim Auto-Beispiel; ein schönes
aufgeräumte Gebäude, sauber angeschrieben und repräsentativ, ist nicht logischerweise
und zwingend ein Garant für zuverlässige Produkte- und Dienstleistungs-Qualität. Und
doch: Hat man zwei ebenbürtige Lieferanten zur Auswahl, für welchen entscheidet man
sich? Für denjenigen, der einem einen einladenden Aufgang bietet oder für denjenigen,
bei dem man auf der Treppe das Gefühl hat, sie bricht gleich unter den Füssen weg? Für
denjenigen, der seine Türe mit seinem wie aus dem Ei gepellten Logo und einem herzhaften
"Willkommen!" angeschrieben hat oder für denjenigen, bei dem nicht einmal die
Klingel angeschrieben ist, dafür aber ein riesiges Schild prangt "Vertreterbesuche
ausschliesslich montags 9.30 - 11.00 Uhr"? Für denjenigen, bei dem auch innen drin
im Gebäude die Liebe zum Detail spürbar ist und der einen mit einer freundlichen Dame
hinter einem Offenheit signalisierenden Welcome-Desk empfängt, oder für denjenigen, bei
dem man zuerst durch die düsteren Gänge irrt, bis man an einem Loch in der Wand sich
bückend seine Anwesenheit vermelden darf?
Ein paar Beispiele
Von den sechs Firmen, welche ich für diesen Artikel
aufsuchte, verdienen vier namentliche Erwähnung, zwei klammern wir besser aus, denn über
solche Baracken zu schreiben, lohnt sich nicht. Die anderen vier sind jedoch ein guter
Querschnitt durch den derzeitigen Stand bei den Zulieferern von Druck und Druckvorstufe.
Ich werde im folgenden versuchen, die Eindrücke, welche ich beim Besuch hatte, so
wiederzugeben, wie wenn ich ein Druck- oder ein Druckvorstufen-Unternehmer wäre, der sich
überlegt, den Auftrag über mehr als Fr. 100'000 dieser Firma zu geben.
- AMRA Druckfarbenfabrik A. Müller AG, Jona: Etwas
abgelegen ausserhalb Jonas am Zürichsee fand ich die Fabrik in einem Industriegebiet. Das
Signet am höheren Gebäude (vgl. Foto) sieht man leider erst, wenn man die Strasse auch
schon gefunden hat. Auf der Höhe des Gebäudes hat es ein klares und auch genügend
grosses Firmenschild. Ich fuhr auf den grossen Parkplatz mit vielen freien Plätzen und
stand nun vor diesem Gebäude, einem zeitlosen Industriebau, dem man irgendwie ansieht,
dass hier jemand etwas von Farbe versteht. Und dann gab's ein kleines Problem: Weder der
Weg dahin, noch der Eingang selbst ist beschildert. O.K., es ist wohl naheliegend, dass
da, wo die Treppe hinführt, wohl auch der Eingang ist, aber trotzdem: Einladend ist es an
dieser Stelle, zwischen Parkplatz und Eingang, nicht. Ich öffnete die grosse Türe und
stand im Entree. Design-Stühle und moderne Kunst an den Wänden, geschmackvolle
Einrichtung. Doch wo ist die Empfangsdame? Aha! Links ist das Loch in der Wand, wo sie
sein sollte.
Die AMRA kann als ein Beispiel für ein mit einigem Aufwand geschaffenes, schönes
Unternehmungsgebäude angesehen werden. Dies hat sicher auch - wie jede CI-Massnahme -
einen sehr positiven Effekt auf die Mitarbeiter. Noch ist das Gebäude in meinen Augen zu
sehr "für sich", gegen innen ausgestaltet. Demjenigen, der das erste Mal da
ist, könnte es noch etwas einladender, ihn führender entgegentreten.
- FERAG Förder- und Verarbeitungssysteme AG, Hinwil:
Unweit Wetzikon liegt Hinwil und in Hinwil liegt die FERAG, d.h. Hinwil liegt schon fast
um die FERAG herum, denn ich war von der Grösse des Firmensitzes mächtig beeindruckt.
Das fängt schon auf der Hauptstrasse an, wo neben den mannshohen Displays auch an der
Strasse ein Verkehrsschild auf die FERAG hinweist. Als nächstes passiert man die
Werkseinfahrt mit einem freundlich grüssenden und einen einweisenden Pförtner. Ein
bisschen Fahrt auf dem perfekt ausgeschilderten Werksgelände ist es schon, bevor man auf
einen der Besucherparkplätze stösst. Im Hintergrund ragt auf einem sehr hohen Gebäude
ein mächtiges Signet bronzen und sich drehend in den Himmel. Der eigentliche Empfang ist
nicht mehr ganz neu gestylt, späte siebziger Jahre würde ich sagen. Die Empfangsdame ist
sehr freundlich, leider befindet sich der für mich zuständige Mann in einem anderen
Gebäude jenseits der Hauptstrasse. Ich hätte nie gedacht, dass Hinwil so gross ist...
Die FERAG machte auch mich einen leicht "zusammenstauchenden" Eindruck.
"Wir sind schon so lange da, machen alles perfekt. So war es gestern, ist es heute
und so wird es auch in Zukunft sein". Dies schien mir der Grundtenor. Das strahlt
sehr viel Sicherheit aus, das ist gut. Vielleicht täusche ich mich, aber mir schien es,
als strahle es auch ein bisschen zuviel Selbstsicherheit aus. Bei der FERAG merkt man,
dass bis in kleinste Details hinein alles wohl durchdacht ist. Z.B. findet sich im
Eingangsbereich der Verwaltung eine Tafel, auf der die heutigen Besuche aus aller Welt
angekündigt und begrüsst werden. Meine Achtung ist gross vor soviel Willen, es perfekt
zu machen. Inwiefern mich mein Gefühl täuscht, dass es schon ein bisschen ins
"Sture" geht, muss hier offenbleiben. Es sind immer auch die darin lebenden und
arbeitenden Leute, die einer Architektur Leben verleihen.
- SCANGRAPHIC PrePress Technology AG, Dübendorf. Die
SCANGRAPHIC sitzt in Dübendorf im "Haus der Optik", einem relativ jungen und
aufwendig gebauten Büro- und Gewerbegebäude unweit der Autobahn. Das Gebäude selbst ist
von der Strasse aus gut sichtbar mit einem vorgelagerten Display angeschrieben, die
einzelnen Firmen-Schilder im Display sind jedoch etwas zu klein. Am Gebäude selber war
überhaupt nichts angeschrieben, nicht einmal der Hauptmieter, nur "Haus der
Optik" war über dem Eingang zu lesen. Besucherparkplatz war gerade einer von dreien
frei, die wenigen zur Verfügung stehenden Parkplätze in den Städten und ihrer
Agglomeration sind ein Problem. Doch ich hatte ja einen, war glücklich, und betrat das
schicke Gebäude. Am Lift stand, ohne jegliches Logo, sehr dezent, dass die SCANGRAPHIC
sich im zweiten Stock befinde. Im zweiten Stock stand, etwas weniger schick, dass sich die
SCANGRAPHIC hier um die Ecke befinde. Und in der SCANGRAPHIC war's dann noch einmal etwas
trockener und weniger schick. Ich wurde allerdings sehr freundlich begrüsst, doch ich
hatte das Gefühl, dass das "hohe Tempo", welches draussen mit dieser speziellen
Architektur angeschlagen worden war, sich nicht nach innen durchhalten liess.
Die SCANGRAPHIC ist für mich ein typisches Beispiel, wie sich eine Firma für eine
Aussenstation (das Stammhaus sitzt in Deutschland) in einem repräsentativen Bau sicher
nicht besonders günstig einmietet, für die Innengestaltung dann aber eigentlich nichts
mehr aufwenden will. Man ist halt auf Aussenposten, zuhause ist es schon schöner. Aber
hier, "in der Wildnis", kann man auf solchen Luxus verzichten. Es fehlte einfach
ein bisschen an der Liebe zum Detail und besonders fehlte es an dem Willen, in diesem sehr
stilvollen Haus selber Stil zu zeigen.
- SILICON GRAPHICS Computer Systems AG, Schlieren.
SILICON GRAPHICS hat sich ebenfalls in einem Büro- und Gewerbegebäude eingemietet. Unten
drin ist ein Bowling-Center, weiter oben die Büros. Das Gebäude ist weithin gut sichtbar
als "Business-Center" angeschrieben, über den Geschmack der Farbgebung zu
dieser Bezeichnung sollte man sich nicht allzulange streiten. Vor dem Gebäude, klar
sichtbar von der Strasse aus, steht ein Gerüst, an dem die Firmen-Tafeln gut sichtbar
befestigt sind. SILICON GRAPHICS hat ein etwas spezielles Signet: Ein dreidimensionaler
Würfel und daneben ein grauer Schriftzug. Dieser Schriftzug sieht sehr edel aus auf
schwarzem Papier, auf diesem weissen Hintergrund des Schildes "säuft" er aber
ab. (Auch solche Fälle, bei denen ein Hintergrund vorgeschrieben ist, müssten bei der
grundlegenden VI Visual Identity - Festlegung in Betracht gezogen werden). Ich kam zum
Eingang, jeder Hinweis auf eine Firma fehlte. Ich fuhr in den zweiten Stock - an einer
Türe begrüsste mich ein aufgeklebtes Schild, das von der vormaligen Verwendung noch die
Bohrlöcher aufweist. Darüber prangte ein schon etwas gewelltes Foto. Mein Gang führte
mich durch einen schmalen Flur, ebenfalls ohne Bezeichnungen. Ich stand vor einer nun
wiederum angeschriebenen Tür, öffnete sie und betrat den wohl gediegensten Empfangsraum,
den ich erwarten konnte. Ein Welcome-Desk mit eingelassenem blauem Neonlicht und
durchgestyltem Korpus fiel angenehm auf. Dahinter sass eine sehr freundliche Dame, die mir
gleich etwas zu trinken anbot. Der ganze Raum war erfüllt von angehmem Licht, das die in
Rahmen aufgehängten Firmenplakate anstrahlte. Etwas weiter hinten stand eine Palette mit
Kartons und Schnüren von frisch angelieferten Computern...
Bei SILICON GRAPHICS fehlt es nicht am Willen, nicht am Geld, um dem Kunden einen
möglichst angenehmen Empfang zu bereiten und ihm zu bedeuten: Wir sind die Richtigen.
Möglicherweise fehlt es an der organisatorischen Festlegung, wer sich um die kleinen
Details zu kümmern hat. Und sicher fehlte es beim Bezug der Räume an einer
Ablauf-Planung. Die Palette, die wie ein "Tolggen" im Reinheft hinten stand,
stand tags zuvor wohl nicht da. Aber möglicherweise stand damals eine andere da. Damit
morgen keine Palette mehr dasteht, muss die Gebäudelogistik so verändert werden, dass
nicht über den Kundenempfang angeliefert wird. Und wenn dies nicht möglich ist, so muss
jemand bestimmt werden, der leere Paletten sofort wieder entfernt. Der kann sich dann auch
gleich um die fehlenden Schilder etc. kümmern. Das ist keine teuere Wahnsinns-Aufgabe, es
muss sie nur jemand tun.
Was können Sie tun?
1. Fahren Sie ihr Geschäft so an, als wären Sie das erste
Mal dort. Werden Sie genügend geführt, ist alles klar beschildert? Macht alles einen
sicheren Eindruck auf Sie? Kleine Veränderungen sind hier nicht teuer.
2. Nehmen Sie eine Polaroid-Kamera mit ins Geschäft und
photographieren Sie alle "Tolggen". Bilder sagen mehr als tausend Worte. Zeigen
Sie an der nächsten Mitarbeiter-Sitzung diese Polaroids. Auch dies ist keine teure
Massnahme.
3. Bestimmen Sie jemanden, der für das Erscheinungsbild
verantwortlich ist. Es geht nicht an, dass Firmenschilder immer Chefsache sind. Denn dann
steht das Erscheinungsbild zwangsläufig hinten an. Organisieren Sie Ihr Marketing auch in
diesem Punkt. Und auch das ist nicht teuer.
Es gibt Firmengebäude, bei denen nur ein Abriss und Neubau
den Missstand beheben können. Das ist sehr sehr teuer. Zumeist fehlt es jedoch am
wachsamen Auge, am Mitdenken, am sich für das Erscheinungsbild der Firma verantwortlich
fühlen. Und das ist nicht teuer.
|
|
BASE-Marketing Dr. oec. HSG Luzi Rageth,
Birmensdorferstrasse 470, 8055 Zürich Home |