Ueber DATA-Mining und -Warehousing am Beispiel des Marketings der Banken

Diamanten-Fieber

Publiziert in Produktion+Print Nr. 5, Mai 1997

Das Marketing der Banken beschäftigt sich derzeit mit den Problemkreisen "Data-Based- und One-to-one-Marketing","Branding" und "Multi-Channel-Distribution". Insbesondere die neue und für jedes One-to-one-Marketing äusserst wichtige und fruchtbare Datenanalyse-Technik „Data Mining" verdient es, hier genauer dargestellt zu werden. In diesem Bereich des quantitativen Marketings herrscht derzeit ein wahres Diamanten-Fieber. Das müssen wir uns genauer ansehen.

Es war vor etwa 10 Jahren. Am 24. Dezember nachmittags um 16.30 Uhr, alle Schalter waren längst geschlossen, wollte ich noch kurz Geld abheben. Der Contomat des Bankvereins zog meine Kontokarte ein und forderte mich auf: „Bitte am Schalter melden". (Das tat ich dann auch, allerdings erst nach den Weihnachtstagen). Mir war schon vorher klar gewesen, dass ich für den Bankverein kein wichtiger Kunde war, aber gerade so unwichtig? Heute wäre ich wohl etwas interessanter, allerdings ohne grosse Neigung, den Bankverein jemals wieder zum Zug kommen zu lassen.

Diese Geschichte hätte sich wohl mit jeder anderen grösseren Bank abspielen können; sie zeigt deren Problematik klar auf: Es gibt interessantere und weniger interessante Kunden, z.B. ist das Geschäft mit den wenig vermögenden Privatkunden (Retailgeschäft) - zumindest für die Grossbanken - gänzlich uninteressant. Also muss man diese Kunden mit möglichst geringem Aufwand bedienen, wobei Härten bewusst in Kauf genommen werden.

Derzeit erleben dies nicht nur die Retail-Kunden, sondern auch gewerbliche Betriebe und z.T. auch ganze Branchen. Hinter dieser Entwicklung steht nicht nur als primär auslösendes Moment die schlechte Konjunktur, sondern sie ist auch ein Resultat der mittels verfeinerter Datenanalyse-Technik vollzogenen Segmentierung der Kunden. Schon früher wurden Kunden segmentiert und gewissen Klassen wie „Retail", „Private", „Commercial" und „Corporate" zugeordnet. Neu ist heute die Möglichkeit, mittels neuester Informations--Technologie und sophistizierter -Verfahren immense Datenmengen zu verarbeiten und so viel genauere Segmente zu bilden. Die aktuellste Entwicklung auf diesem Gebiet hat den Namen „Data-Mining" und verdient es, genauer dargestellt zu werden.

 

Data Mining

Der Name „Data Mining" kommt daher, dass man wie in einer Edelstein-Mine die Daten bzw. den Gesamt-Datenbestand „abschürft" und einzelne Edelsteine im Sieb hängenbleiben. Data Mining erstreckt sich über die vier Funktionen „Verbindungen erkennen", „Segmentieren", „Klassifizieren" und „Abweichungen feststellen. Zugrundegelegt wird dabei ein sogenanntes Data Warehouse. Das Ganze ist leicht erklärt:

 

Die Chancen

Die sich für die Bank wie für ihre Kunden aus dem Data Mining ergebenden Chancen sind vielfältig. Durch Data Mining können besonders profitable Kundensegmente ausfindig gemacht werden, denen mittels gezielter Kommunikation für sie speziell zugeschnittene Produkte angeboten werden können. Das erspart der Bank viel unnötiges Postporto und sowohl ihr wie dem Kunden verschwendete Telefon-Zeit.

Mittels Data Mining kann viel genauer „gezielt" werden. Leerläufe oder sogar Enttäuschungen (jemand will etwas, das ihm mit viel Aufwand schmackhaft gemacht wurde und kann es sich aber nicht leisten), werden vermieden. Dadurch wird Data Mining zu einer sehr wichtigen Vorbedingung für das One-to-one-Marketing, d.h. das Marketing, bei dem alles auf den einzelnen Kunden ausgerichtet wird; nicht nur die (Direkt-)Werbung, sondern auch die Preisgestaltung sowie der Distributionsweg und sogar das Produkt. Die Entwicklung steht hier - nicht nur bei den Banken - erst an ihrem Anfang. Für jemanden, der sich auch für die quantitativen Aspekte des Marketings interessiert, kommt da ganz einfach Diamanten-Fieber auf.

 

Die Gefahren

Data Mining bezieht sich immer auf Daten, die in der Vergangenheit angefallen sind. Zwar wird es auch für Prognose-Techniken eingesetzt, aber es generiert keine neuen Entwicklungen. Dies ist ein genereller Schwachpunkt dieser Analyse-Technik. Marketing erfindet zwar die Welt nicht täglich neu, doch es kommt immer wieder etwas noch nie Dagewesenes dazu. Das ist das Salz in der Suppe. Und neue Entwicklungen lassen sich aus alten Datenbeständen nicht vorwegnehmen. Data Mining hilft hierbei also nicht.

Des weiteren sind die folgenden spezifisischen Gefahren zu nennen:

 

Und sonst?

Data Mining ist nicht alles. Untersucht man das Marketing der Schweizer Banken, so stellt man die folgenden weiteren Schwerpunkte fest:

 

Was können Sie tun?

Natürlich haben Sie in Ihren Kundendatenbanken nicht die gleiche Datenfülle und -genauigkeit wie die Banken. Trotzdem kann deren Marketing auch für Sie wichtige Anstösse bereithalten:

Und noch ein letztes: In meiner Zeit als Unternehmensberater riet ich jedem meiner Kunden, Verbindungen zu mindestens zwei Banken zu halten; nicht zu zehn, aber sicher nicht nur zu einer. Wenn man die Bank braucht, so ist man ihr auch ausgeliefert. Es ist nicht möglich, in einer Krise zu einer neuen Bank zu wechseln. Deswegen muss eine Firma zu mindestens zwei Banken Kontakt halten. (D.h. also zwei Banken fürs Geschäft und eine dritte fürs Private). Vielleicht, und dafür müssen wir alle die Entwicklung (Stichwort „Melken durch Data Mining") im Auge behalten, wird es sich auch im privaten Bereich empfehlen, nicht nur mit einer einzigen Bank zusammenzuarbeiten. Wir werden sehen.

 

Interview zum Banken-Marketing

Mit Produktion+Print sprachen freundlicherweise Herr Christoph W. Oggenfuss (Leiter Marketing Services) von der Credit Suisse sowie Frau Anita Sigg Mäder (Leiterin Marktführung Privatkunden, Vertrieb) und Herr Fritz Lienhard (Leiter Marketing und Kommunikation) von der Zürcher Kantonalbank. (Die CS hat unter den Grossbanken sicher das versierteste Marketing und die Zürcher Kantonalbank ist ein Paradebeispiel für lokale Stärke).

Produktion+Print: „Wo sehen Sie die Chancen und Gefahren des Data Mining?"

F. Lienhard: Data Mining ist eine Analyse-Technik, darüber steht das Data Based Marketing insgesamt. Hier, im Bereich des quantitativen Marketings, sind wir in Europa weit hinter Amerika zurück. Data Mining bedeutet für uns dabei eine weitere Form der Nutzung von Datenmengen zur Analyse und Fokussierung unserer Aktivitäten.

C. Oggenfuss: Die entscheidende Frage beim Data-Mining ist: Erreichen wir einen professionellen Umgang mit den Daten und mit den Resultaten des Data-Mining-Prozesses? Und professioneller Umgang heisst immer "aus Kundensicht". Der Kunde muss erkennen, dass es ihm nützt. Wir müssen etwas für ihn Kluges daraus machen.

Produktion+Print: „Die Banken setzen zunehmend Branding-Techniken ein. Warum und besonders auch warum erst jetzt?"

F. Lienhard: Unser Brand-Konzept lautet „ZKB - Die nahe Bank". Dieses Konzept leben wir durch unsere hohe Geschäftsstellendichte im lokal beschränkten Raum. Und in der integrierten Kommunikation wird es unseren Kunden näher gebracht. Als ein Beispiel unter vielen wären die Aktivitäten rund ums Zürcher Theaterspektakel zu nennen. Das hat sich in allen internen wie externen Aktivitäten niedergeschlagen. So etwas gab’s bis anhin bei den Banken noch nicht.

C. Oggenfuss: Für ein globales Branding mussten wir erst globale Fähigkeiten und eine kritische Masse, eine wirklich global tätige Unternehmung aufbauen. Das haben wir mit der Akquisition von First Boston, Bank Leu, Volksbank und Neuer Aargauer Bank getan. Jetzt können wir die quantitativ wie qualitativ globale Marke Credit Suisse etablieren.

Produktion+Print: „Die nun sich bei allen Banken durchsetzende Kunden-Segmentierung hat ihre Grenzen. Zielgruppenüberschneidungen (jemand kann sowohl als Privatperson wie als Geschäftsmann mit der gleichen Bank zu tun haben) sowie Wechsel innerhalb der Gruppen (jemand steigt vom Retail-Kunden zum Personal-Kunden auf) verhindern das durch solche Segmentierungen beabsichtigte "One-face-to-the-customer". Wie kann man dieses Problem lösen?"

A. Sigg: Bei uns ist die Kundenverantwortung klar zugeordnet, aber wir achten sehr auf die Durchlässigkeit des Systems. Der Kunde ist zwar einem Kundensegment zugeteilt, doch er erhält die Leistung , die seinem Bedürfnis entspricht. So kommt es vor, dass wir ganz unkompliziert Spezialisten aus einem anderen Bereich beiziehen, ohne dass der Kunde ein eigentliches „Anrecht" darauf hätte.

C. Oggenfuss: Bei der CS wird die Segmentierung durch uns in eine Selbstsegmentierung durch den Kunden umgewandelt: Der Kunde kann (und muss) entscheiden. Wir müssen nur nahe genug an seinen Bedürfnissen bleiben. Dem Kunden diese Wahl zu ermöglichen, daran arbeiten wir sehr stark.

Produktion+Print: Alle grossen Banken bieten ihre Leistungen über alle denkbaren Kanäle an. (Schalter, Contomat, Internet, Telefon, etc.). Hat die Distribution als positionierendes Element des Marketing-Mix ausgedient?

C. Oggenfuss: Früher gab es nur die Zweigstelle. Vor 10 Jahren haben wir Telebanking eingeführt, vor vier Jahren mit CS First Phone, vor drei Jahren mit CS First Phone Business und vor zwei Jahren mit CS Direct Invest einen neuen Distributionskanal erschlossen. Heute lancieren wir das Internet-Banking. Das alles erhöht für unsere Kunden die Convenience. Grundsätzlich aber gilt: Im Distributionskanal liegt kein Differenzierungspotential mehr.

A. Sigg: Der Kunde will selber über den Distributionskanal entscheiden, das macht die Relevanz der Multi Channel Distribution aus. Dabei stellt sich die Frage, ob man diesem Wunsch durch Tochtergesellschaften entgegenkommen kann (wie dies viele Banken getan haben) oder ob man nicht besser die Distributionskanäle unter einem Dach vereinigen muss. Wir haben diesen zweiten Weg gewählt und wir denken schon, dass man sich hierüber profilieren kann.

F. Lienhard: Als wir die alternativen Vertriebswege einführten, dachten wir, dass wir damit die Schalterkontakte entlasten könnten. Das wird aber - laut amerikanischen Studien, die auf mehr Erfahrung zurückgreifen - nicht der Fall sein. Wir haben durch die alternativen Vertriebswege ganz einfach ein Plus an Convenience für unsere Kunden geschaffen, unsere Schalterkontakte wird es aber nicht reduzieren und deswegen wird es auch unsere Kosten kaum entlasten.

 

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